Barsinghausen – Selbst HSV-Clubchef Dietmar Beiersdorfer flüchtete auf der Suche nach größtmöglicher Ruhe vor dem 105. Nordderby in die niedersächsische Provinz.
Dick eingepackt verfolgte der angeschlagene Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV das Training des abgeschlagenen Tabellenletzten der Fußball-Bundesliga in Barsinghausen. Hier am Fuße des Höhenzugs Deister vor den Toren Hannovers befindet sich der wieder einmal stark abstiegsgefährdete Bundesligist seit Mittwoch im Trainingslager.
«Der Kopf darf nicht zum Nachdenken kommen», begründete Trainer Markus Gisdol nach dem Training noch einmal den dreitägigen Trip. «Es geht um das Zusammensein. Das ist sehr wichtig.» Vor dem brisanten Duell gegen den sportlich ebenfalls angeschlagenen Drittletzten Werder Bremen am Samstag (15.30 Uhr) versucht Gisdol alles, um sein Team endlich auf Erfolg zu trimmen.
«Wir sehen sehr, sehr erfreulich Prozesse in unserer Mannschaft. Da ist es sehr hilfreich, so nah beisammen zu sein. Wir wollen das begleiten», sagte Gisdol zu diversen Maßnahmen, zu denen auch die Absetzung des zuletzt schwachen Innenverteidigers Johan Djourou als Kapitän gehörte. Gisdol hatte unter anderem Sprachunterricht für einige ausländische Profis verordnet. Das alles hat viel vom berühmten «letzte Strohhalm», nach dem Gisdol und der HSV früh in der Saison greifen. «Es gibt dafür vielleicht keine zweite Chance mehr in dieser Saison, dass es greift», hatte Gisdol selbst gesagt.
Das «geilste Spiel des Jahres» (Abwehrspieler Dennis Diekmeier) gegen Werder soll zum emotionalen Wendepunkt werden. In einem offenen Brief wandte sich der Mannschaftsrat fast schon flehentlich an die Fans, das Team am Samstag besonders zu unterstützen. «Ein Sieg im Derby kann ein Schlüsselmoment sein», sagte Offensivspieler Nicolai Müller.
Dafür will sich Gisdol durch nichts ablenken lassen. Am Donnerstag fand die erste Einheit des Tages am August-Wenzel-Stadion statt, wo normalerweise die niedersächsischen Landesauswahlen spielen. Am Tag zuvor hatte er noch auf der Anlage des Sporthotels «Fuchsbachtal», wo auch das Nationalteam schon etliche Male trainierte, üben lassen. «Der Platz war heute zu ramponiert, da ging es gestern ordentlich zur Sache», begründete Gisdol. Öffentlich waren auch am Donnerstag nur die ersten Minuten des Trainings.
«Wir müssen uns in dieser Woche sehr gut im Training wiederfinden und dürfen uns von nichts ablenken lassen», hatte Gisdol zuvor schon gesagt. In Hamburg scheint dies derzeit kaum möglich. Zu groß ist mal wieder der Wirbel im latent aufgeregten HSV-Umfeld. Nach Medienberichten steht Vorstandsboss Beiersdorfer zur Disposition, sollten die Hamburger auch am Samstagabend mit nur drei Punkten Tabellenletzter sein. Zuletzt hatte bereits Marketing-Vorstand Joachim Hilke seinen Rücktritt angekündigt.
Am Donnerstag kam noch die Nachricht vom Aus von Jens Todt als Sportdirektor beim Karlsruher SC hinzu. Der frühere Nationalspieler und Profi von Werder Bremen gilt als x-ter Kandidat für die vakante Position des HSV-Sportchefs. «Wenn man als Mannschaft zusammen an einem anderen Ort ist, zeigt sich eine andere Stimmung», sagte Gisdol voller Hoffnung, all die Aufregung in Hamburg hinter sich zu lassen.
Allerdings sind auch mit dem Trainingslager die personellen Nöte nicht zu kaschieren. Stammkeeper René Adler ist wegen seiner Ellbogen-Operation in Barsinghausen nicht dabei. Auch Emir Spahic (Meniskusprobleme), Cléber, Bobby Wood (beide Knieprobleme) und Albin Ekdal (Sprunggelenkverletzung) fehlen weiterhin.
(dpa)