London – Das historische Wimbledon-Finale ist so nah wie nie. Jeweils ein Sieg noch auf dem Heiligen Rasen für Angelique Kerber und Julia Görges, dann spielt das deutsche Tennis-Duo im ersten deutschen Endspiel seit 1931 tatsächlich gegeneinander um die begehrte Wimbledon-Trophäe.
In diesen verrückten Tennistagen des Sommers 2018 soll die wundersame Reise über die Rasenplätze für Kerber und Görges erst am Samstagnachmittag in einem gemeinsamen Schlusspunkt zu Ende gehen.
«Großartig», «cool», «verrückt», klingt diese womöglich einmalige Chance für Görges. «Wir sind stolz auf euch», sagt Tennis-Ikone Boris Becker. An dem Ort im Südwesten Londons, der wohl für immer am intensivsten mit den goldenen Tennis-Zeiten von Becker und Graf verbunden bleiben wird, treten zwei deutsche Damen am Donnerstag (14.00 Uhr) zur Vorschlussrunde an. Es sind zwei Frauen der Gegensätze, zwei ganz unterschiedliche Typen. «Das Gefühl mit ihr zu teilen, mit einer Nation, das ist ziemlich besonders», sagt Görges.
In ihrem erstem Grand-Slam-Halbfinale will die 29-jährige Bad Oldesloerin gegen die jahrelange Nummer eins Serena Williams (USA) bestehen. Die 30-jährige Kielerin Kerber, Finalistin von 2016, will die Prüfung gegen die Haudrauf-Spielerin Jelena Ostapenko (Lettland) bewältigen. «Es wäre der Wahnsinn, wenn das passiert», sagte die deutsche Damen-Verantwortliche Barbara Rittner «tennisnet.com».
Schon jetzt ist der Eintrag in die Geschichtsbücher perfekt: Erstmals zogen zwei deutsche Damen in einem halben Jahrhundert Profitennis ins Wimbledon-Halbfinale ein, erstmals seit 25 Jahren sind zwei bei einem Grand Slam unter den besten Vier. Das war nur zweimal geglückt: zuletzt 1993 bei den French Open mit Steffi Graf und Anke Huber. Ein rein deutsches Endspiel in Wimbledon gab es nur ein einziges Mal – lange vor der Ära des Profitennis: Vor 87 Jahren standen sich Cilly Aussem und Hilde Krahwinkel gegenüber.
Als Görges Anfang Februar als Zehnte erstmals in die Top Ten der Weltrangliste vorstieß, war auch das ein spezieller Moment. Erstmals seit September 1997 – damals mit Graf und Huber – gehörten zwei Deutsche zu den besten Zehn. Ob es jetzt für eine der beiden in Wimbledon zur Krönung reicht? Als erste deutsche Championesse seit Steffi Graf 1996?
«Es sind beides wirklich großartige Spielerinnen. Sehr professionell und nette Mädchen», sagt Serena Williams. Gegen die Powerfrau steht die 1,80 Meter große Rechtshänderin vor einer einschüchternden Herausforderung. Beinahe unmöglich, wie ein Erfolg in Williams‘ dominanten Jahren gewesen wäre, ist die Aufgabe nicht. Unantastbar tritt die US-Amerikanerin zehn Monate nach der Geburt ihrer Tochter Olympia – verständlicherweise – nicht auf.
Allerdings war Görges erst vor fünf Wochen bei den French Open mit 3:6, 4:6 an Williams gescheitert. Kerber wird der French-Open-Gewinnerin von 2017, der Lettin Ostapenko, zum ersten Mal gegenüberstehen. Die 21-Jährige aus Riga ist mit ihrem risikoreichen Spiel unberechenbar.
Kerber weiß, wie man Grand-Slam-Titel gewinnt, das hat sie Görges voraus. Bei den Australian Open und den US Open hat sie 2016 triumphiert, zudem stand sie vor zwei Jahren im Wimbledon-Endspiel. Beide Halbfinalistinnen stammen aus Schleswig-Holstein, sie sind ungefähr im gleichen Alter. Nun eint beide ein gemeinsames Ziel.
«Julia ist impulsiver, draufgängerisch, frecher; Angie eher introvertiert, zurückhaltend», beschreibt der Verbandscoach von Schleswig-Holstein, Herbert Horst, die Spielerinnen, der beide in der Jugend trainierte. «Wie sie sich im normalen Leben geben, so spielen sie auch Tennis», sagt der 62-Jährige. «Das könnte ein sehr schönes und spannendes Endspiel werden. Das wäre bestimmt ein Riesending.»
Görges wirkt in dem turbulenten Geschehen besonders gelöst. Sie gibt sich unaufgeregt, obwohl sie es in 41 Grand Slams zuvor nicht in die Top Acht geschafft hat. Sie scherzt, sie habe lange keinen Bezug zu Rasen nach fünf Erstrundenpleiten in Wimbledon gehabt – «außer im Garten». Sie beschreibt sich der Weltpresse als «geradeheraus» und verrät lachend, warum sie mit einer Zahnklammer spielt: «Ich beiße stark auf die Zähne beim Schlag, das geht auf meinen Kiefer.»
Vor beinahe drei Jahren startete die Stuttgart-Siegerin von 2011 von Null, zog nach Regensburg, wechselte zu ihrem jetzigen Trainer Michael Geserer und ihrem Physiotherapeuten Florian Zitzelsberger, der auch ihr Freund ist. Sie habe dadurch ihre positive Haltung und die richtige Balance gefunden. «Ich wollte noch mehr. Ich habe nicht den Weg gelebt, den ich leben wollte», erklärt die Nummer 13 der Welt.
Kerber ist keine Plaudertasche. Gerade auch aufgrund ihrer Erfahrungen als zweimalige Grand-Slam-Siegerin gibt sie sich zurückhaltender. Im vergangenen Jahr hat ihr der ganze Trubel um ihre Person Kraft geraubt. Auf den Rasenplätzen an der Church Road präsentiert sich die ehemalige Weltranglisten-Erste jetzt nervenstark und mit der mentalen Reife, die sie 2016 bis ins Wimbledon-Endspiel getragen hat. «Ich muss mich auf meinen Weg fokussieren», sagt die Kielerin.
(dpa)