Genies im «College»: Stiller Kampf von Carlsen und Caruana

London – Acht Partien, achtmal remis. Titelverteidiger Magnus Carlsen und Herausforderer Fabiano Caruana machen es spannend. Mindestens vier Partien werden im Londoner «College» noch gespielt. Dann sollte der neue Schach-Weltmeister feststehen. Oder ist es doch wieder der alte?

Im Spielzimmer der Geistesriesen herrschen exakt 22,0 Grad Celsius. Immer. Hier steigt nur die Spannung. Eine Doppelglas-Panoramascheibe trennt die Protagonisten vom Auditorium der Neugierigen. Doch ein abgeschlossenes Biotop ist der Raum nicht, in dem sich Carlsen und Caruana über ein Brett mit 64 Feldern und 32 Figuren beugen. Rund 20 handverlesene Journalisten haben Zutritt zum Allerheiligsten, aber immer nur für fünf Minuten – klick-klick-klick, Blitze zucken. Dann müssen auch die Fotografen raus.

Im angesagten «The College», einem viktorianischen Prachtbau in Holborn, mitten in London, beginnt dann keine Lektion, sondern ein stiller Kampf: Die beiden besten Schachspieler der Welt ermitteln den Weltmeister anno 2018. Und sie machen es spannend.

Das achte Remis im achten Match fühlte sich für Carlsen wie ein kleiner Sieg an – denn der Norweger hätte fast verloren. Die Rettung in höchster Not kam als falscher Bauernzug Caruanas daher, der die weißen Figuren führte – die Fans und Sekundanten des Amerikaners mit italienischen Wurzeln und zwei Pässen stöhnten.

«Das war ein enges Match. Er hatte alle Chancen. Deshalb bin ich wirklich froh, dass ich überlebt habe», meinte Carlsen. Und Caruana vergab eine weitere Chance, bei seiner ersten WM in Führung zu gehen. «Dass du Magnus etwas unter Druck setzt, heißt noch lange nicht, dass er zusammenbricht», sagte der Herausforderer, der letztlich für die Einstellung eines 23 Jahre alten WM-Rekords sorgte: Schon 1995 trennten sich der Russe Garri Kasparow und der Inder Viswanathan Anand in den ersten acht Partien durchweg remis.

Wenn Carlsen am Ende doch wieder gewinnt, dann ist der alte auch der neue Champion. Im wintersport-verrückten Norwegen ist der junge Mann sowieso schon ein Volksheld. Die Fans verehren den 27-Jährigen wie einen Skisprung-Olympiasieger oder einen Mega-Popstar. Doch der Titelverteidiger ist gewarnt: Der ein Jahr jüngere Caruana wird als gleichstark eingeschätzt. Nur drei Elo-Punkte, der Gradmesser der Geistesgrößen, trennen beide in der Weltrangliste.

Schon beim Einlass, eine Stunde vor dem ersten Zug um Punkt 15 Uhr Ortszeit, bilden sich lange Schlangen an der Southampton Row vor dem College. Wenn’s regnet in London, dann sind die Fans bedröppelt. Bei besonders großem Andrang wird der Zugang zum Auditorium beschränkt: Die Zuschauer bekommen dann 30-Minuten-Zeitkarten, sogenannte Timeslots.

Die ersten fünf Minuten sind für C&C die anstrengendsten, denn dann müssen sie das Klacken der Kameras und das verkrampfte Leisesein der Reporter ertragen. Danach dürfen nur vier Personen im Spielsaal bleiben: Titelverteidiger Carlsen, Herausforderer Caruana und die beiden Schiedsrichter. Handys sind verboten. Es gibt einen Ruheraum für die Duellanten, mit Sesseln, Snacks und Getränken.

Wer nicht stundenlang im Auditorium wie in einem großen Kinosaal sitzen will, der kann die Partien auf großen Flatscreens verfolgen – auf allen Ebenen der Event-Location, wie man auch das Berliner Kühlhaus im besten Neu-Deutsch nennen würde. So entgeht den Fans kein Zug. Das Medienzentrum ist immer rappelvoll.

Englisch und Norwegisch sind allgegenwärtig. Aus dem VIP-Raum, der an einen elitären Countryclub erinnert, dringt aber oft auch Russisch – die Sprache der einstigen Dauerschachweltmeister. Bar und Sofas laden ein zum Fachsimpeln. Oder zum Abschalten. Mit einem Absacker.

Londoner Schachabende sind lang: Die erste Partie dauerte sieben Stunden. Carlsen blieb wie immer cool, dem durchtrainierten Nordeuropäer wurde nur etwas kalt: Bei 22,0 Grad zog er sich die Jacke an. Und der aus Florida stammende Caruana? Zog sein Jackett aus.


(dpa)

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