Gelähmter Lukas Müller kämpft um ein Stück Normalität

Frankfurt/Main – Lukas Müller hätte allen Grund, den 13. Januar 2016 zu verfluchen. Den Tag, der sein Leben von einer Sekunde auf die andere gravierend veränderte, der aus einem aktiven Skispringer einen jungen Mann machte, der mit einer inkompletten Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzt.

Doch Müller tickt anders. «Ich schätze das, was ich noch habe. Und das, was ich wieder erlerne, schätze ich noch viel mehr», sagte der 24-Jährige jüngst in einem Interview der Zeitung «Die Welt». «Der 13. Januar ist mein zweiter Geburtstag.»

Rückblende: Beim Einfliegen der Schanze am Kulm stürzt Müller vor einem Jahr schwer. Der Österreicher schlägt mit dem Rücken auf dem Hang auf und bricht sich den sechsten und siebten Halswirbel. Nach der Notoperation steht fest: Müller wird nie wieder springen können. Dennoch schaut er sich später die Bilder des fatalen Sturzes an. «Beim ersten Mal ist mir ein bisschen warm geworden, danach habe ich aber genau hingesehen», berichtete er.

Das Sturz-Drama um den Junioren-Weltmeister von 2009 hatte im Springerlager große Anteilnahme ausgelöst. «Mir tut es extrem weh, dass er so schwer verletzt ist. Das ist tragisch für ihn», sagte Bundestrainer Werner Schuster damals. Er kennt Müller noch aus seiner Zeit am Skigymnasium Stams. Beide trafen sich am vergangenen Freitag kurz in Bischofshofen, als Müller das Finale der Vierschanzentournee besuchte.

Skispringen ist immer noch seine große Leidenschaft – auch wenn er den Sport nicht mehr ausüben kann. Von Verbitterung ist bei ihm trotzdem nichts zu spüren. «So schlimm mein Schicksal ist, ich muss es akzeptieren, weil es jetzt Teil meiner Lebensgeschichte ist. Ich kann es sowieso nicht ändern, das heißt doch, es ist viel wichtiger, sich auf das zu konzentrieren, was vor mir liegt, als das infrage zu stellen, was hinter mir liegt, oder dem alten Leben nachzuweinen», erklärte Müller in der «Welt».

Eine erstaunliche Einstellung für einen 24-Jährigen, der im Alltag mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hat. «Es ist nicht nur das motorische Zentrum gelähmt, sondern auch der Stoffwechsel und die Verdauung», berichtete er. Und er verspürt kaum Hunger, wegen der Spastiken, die jeder Querschnittsgelähmte habe. «Mir fehlen damit viele Nährstoffe, ich werde schwach und verliere Gewicht. Ich habe knapp zehn Kilo weniger als im Sommer.»

Doch auch davon lässt sich Müller nicht unterkriegen. Er ist ein Kämpfer, der sich Schritt für Schritt zurücktastet. «Ich wollte das Reha-Zentrum mit Krücken auf eigenen Beinen verlassen – das war mein Ziel, und das habe ich geschafft», erzählte er. Seine nächste Vision: «Ich möchte einfach so gesund werden wie möglich. Da gibt es auch kein Zeitlimit. Ein Querschnitt dauert ja nicht ein oder zwei Jahre, sondern so lange, bis ich im Grab liege.»

Dieses Bewusstsein und seine ungebrochene Lebensfreude helfen Müller. Noch während ihm der behandelnde Professor auf dem Krankenbett die schreckliche Diagnose überbrachte, machte er den ersten Scherz. Und als die ersten Besucher lächelnd sein Krankenzimmer verließen, entwickelte er unterbewusst ein neues Lebensziel: Müller will anderen Menschen Mut machen und einen neuen Blick auf das Leben vermitteln. Ihm ist jetzt wichtig: «Egal, mit wem ich rede, wenn diese Person den Raum verlässt, soll sie mit einem Lächeln gehen.»


(dpa)

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