Hannover – Es ist nicht einmal zwei Monate her, dass die Deutsche Fußball Liga dieses Zahlenfeuerwerk abschoss. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesliga erwirtschafteten die 18 Clubs in der Saison 2018/19 einen Gesamterlös von mehr als vier Milliarden Euro (4,02).
Zum 15. Mal nacheinander verkündete die DFL in ihrem «Wirtschaftsreport 2020» einen Umsatzrekord. «Es zahlt sich aus, dass die Bundesliga-Clubs den Spagat zwischen sportlicher Ambition und gesundem Wirtschaften beherrschen», steht in diesem am 18. Februar veröffentlichten Report. Doch spätestens die Corona-Krise und ihre Folgen werfen die Frage auf: Ist das wirklich so?
Denn nur sechs Wochen später schreckte der «Kicker» die Fans im Land mit der Meldung auf, dass 13 von 36 Clubs der Ersten und Zweiten Liga bis Ende Juni die Insolvenz drohen würde, falls die mittlerweile unterbrochene Saison bis dahin nicht fortgesetzt wird. Solange nicht gespielt werden kann, wird auch die vierte und letzte Rate aus der TV-Vermarktung in Höhe von rund 380 Millionen Euro nicht überwiesen.
Selbst wenn man diesen horrenden Einnahmeausfall sowie das Ausmaß einer globalen Pandemie berücksichtigt. Und selbst wenn man unterstellt, dass der Profifußball seine wirtschaftlichen Sorgen möglicherweise ein wenig dramatisiert, um eine Rechtfertigung für die möglichst zügige Fortsetzung der Saison schaffen: Als erster Spitzenfunktionär der Bundesliga forderte der Präsident des FC Augsburg am Osterwochenende in dieser Deutlichkeit: «Es muss im Finanzgebaren einschneidende Änderungen geben.» Das sagte Klaus Hofmann in einem Interview der «Augsburger Allgemeinen».
Ein entscheidender Hinweis auf dieses Finanzgebaren findet sich bereits im DFL-Wirtschaftsreport selbst. Denn danach zahlten die 18 Bundesliga-Clubs in der Saison 2018/19 mehr als 1,4 Milliarden Euro für die Gehälter ihrer Trainer und Spieler. Die Personalkosten sind der größte Ausgabenfaktor der Clubs – Tendenz seit Jahren steigend.
In dieser Krise zeigt sich nun, dass die Boombranche Profifußball einen Großteil ihrer Einnahmen umgehend wieder verfeuert, ohne in längeren Zeiträumen zu denken und sich gegen Risiken abzusichern. Laut DFL-Wirtschaftsreport ist zwar auch die Eigenkapitalquote der Bundesliga-Clubs in vier Jahren von 40,1 auf 47,7 Prozent gestiegen. Das bedeutet aber nicht, dass auch alle Vereine strategisch wirtschaften. «Es kommt auf den Liquiditätspuffer an – und auf die Höhe des Eigenkapitals. Clubs, die vorgesorgt haben und über ausreichende Mittel verfügen, kommen am besten durch die Krise», sagte der Sportökonom Christoph Breuer der «Welt».
Dass der Faktor Vorsorge mitunter so vernachlässigt wurde, hat auch etwas damit zu tun, dass die Erlöse in dieser Branche über Jahre stiegen und stiegen. Grob gesagt konnte sich jeder Club bislang darauf verlassen, dass er morgen mehr Geld einnimmt als heute. Und darauf verließ sich sogar ein Club wie Werder Bremen, der seit Jahrzehnten in dem Ruf steht, besonders seriös zu wirtschaften.
Der Tabellen-17. gab in den Transferperioden dieser Saison rund 15 Millionen Euro für neue Spieler aus, ohne auf der Gegenseite etwas durch Verkäufe einzunehmen. Durch diverse Vertragsverlängerungen wiesen die Bremer bereits in der Bilanz für das Geschäftsjahr 2018/2019 deutlich gestiegene Personalkosten aus. Hinzu kommt, dass sie die Neuzugänge Leonardo Bittencourt und Ömer Toprak 2019 zwar zunächst nur ausliehen, für diesen Sommer aber bereits Kaufverpflichtungen von rund zehn Millionen Euro für beide eingingen.
Den Bremern war immer klar, dass sie das alles nur gegenfinanzieren können, wenn sie auch wieder Geld durch Spielerverkäufe einnehmen. Allein waren solche Transfers – etwa ein Verkauf von Milot Rashica – erst für den Sommer 2020 geplant. Eine Corona-Krise, die die Preise auf dem Transfermarkt drückt. Eine desaströse Saison, die die Marktwerte der Spieler zerfrisst: All das war in den Szenarien nicht vorgesehen. Wobei Werders Geschäftsführer Klaus Filbry betont: «Was uns als Branche jetzt trifft, war nicht vorhersehbar, nicht planbar und nicht versicherbar. Da hätten auch keine Rücklagen geholfen.»
Selbst in Zeiten verlässlicher Umsatzrekorde sind im europäischen Spitzenfußball immer noch Risiken immanent, die es im amerikanischen Sportsystem ohne Auf- und Absteiger nicht gibt. Ob man die Champions League erreicht oder verfehlt, ob man in der Bundesliga bleibt oder absteigt: Das macht finanziell mittlerweile so große Unterschiede aus, dass der Sportökonom Breuer von einem «Rattenrennen» spricht, das den Hang zu kurzfristigem Denken befeuert. «Die Anzahl der Clubs, die investieren, um ein sportliches Ziel mit der Aussicht auf lukrative Einnahmen zu erreichen, ist wesentlich größer als die Zahl der Clubs, die dieses Ziel realistisch erreichen können», sagte er.
Bleibt die Frage, welche Konsequenzen die Clubs mittel- und langfristig aus dem Schrecken der Corona-Krise ziehen. «Die Verteilung der TV-Gelder wird ein Thema sein, das mit Sicherheit diskutiert wird. Es geht aber auch um die Frage, ob die Liga zentral einen Fonds auflegen kann», sagte Filbry schon im März. Einen Fonds, in den zum Beispiel ein Teil der TV-Gelder fließen könnte und der die Clubs in Zukunft besser gegen unvorhergesehene Krisen absichert.
Wie weit dieses Umdenken reichen wird, ist noch fraglich. Dass es überhaupt ein Umdenken gibt, dagegen nicht. Noch in seinem Vorwort zum Wirtschaftsreport 2020 schrieb Christian Seifert als Sprecher des DFL-Präsidiums von einem «in Summe verantwortungsbewussten und professionellen Wirtschaften» der Bundesliga-Clubs.
Aber schon Anfang April sagte er in einem Interview der Wochenzeitung «Die Zeit»: «Sie meinen, dass das Thema wirtschaftliche Stabilität – mit Rücklagen und einem funktionierenden Geschäftsmodell – doch wichtiger ist, als einige bisher gedacht haben? Wenn das von dieser Krise als Lehre für den Profifußball bliebe, dann wäre eine Menge erreicht.»
(dpa)