Flüchtling und WM-Judoka Badawi: «Sport war mein Türöffner»

Hannover – Die Köpfe sind gesenkt, die Gesichter angespannt, während sich die beiden Männer sekundenlang an den Armen und Schultern zerren.

Dann schleudert Fares Badawi seinen Partner mit einer eleganten Beinbewegung zu Boden. Eine kurze Umarmung zwischen den beiden Athleten in weißen Judo-Anzügen, dann ist der Kampf vorbei. Der 23-jährige Badawi ist vor vier Jahren aus Syrien geflohen und träumt von Olympia. Eine große Hürde auf dem Weg dahin hat er genommen: Am Dienstag kämpft er bei der Judo-WM in Tokio. Zusammen mit acht anderen Athleten tritt er für das Flüchtlingsteam des Judo-Weltverbandes IJF an. In der Woche zuvor bereitete er sich im Olympia-Stützpunkt Hannover beim Training auf den Wettkampf vor. 

«Das ist meine erste WM-Erfahrung – und dann auch noch im Mutterland des Judos», sagt der Athlet, dessen Großeltern aus Palästina stammen, in fließendem Deutsch. «Ich freue mich sehr.» Große Chancen auf einen Sieg rechnet sich der junge Mann mit akkurat gestutztem Bart und sanftem Blick in seiner Gewichtsklasse bis 73 Kilogramm jedoch nicht aus. Während sich die Judoka des deutschen Nationalteams schon seit langem auf den Wettkampf in Tokio vorbereiten können, hat Badawi erst vor einigen Wochen von seiner WM-Teilnahme für das IJF-Team erfahren. Erst am vergangenen Donnerstag erhielt er sein Visum für Japan.

Statt auf Partys geht der Student zwölf Stunden in der Woche trainieren. «Manche halten mich für einen Langweiler», sagt Badawi mit einem schiefen Lächeln. Seine Haltung ist ruhig, sein Blick aufmerksam. Er lebt in Braunschweig und studiert dort auch im vierten Semester Bauingenieurwesen. Damit hatte er schon in Damaskus begonnen. Doch das Studium in Deutschland gefällt ihm besser – und auch das Judo-Training: «Der Sport hier ist nicht so korrupt wie in Syrien. Das Nationalteam dort ist nicht mal so gut wie mein Verein in Braunschweig.» Dabei wollte er eigentlich nie nach Deutschland. «Das war die Idee meines Vaters.»

Als Haus und Viertel der sechsköpfigen Familie aus Damaskus von Bomben zerstört werden, lenkt er ein. «Ich hatte Angst, dass ich von der Armee eingezogen werde», sagt Badawi. «Es gab Entführungen, wir alle haben Verwandte verloren und niemand hat sich mehr sicher gefühlt.» Er und sein damals 13-jähriger Bruder fahren 2015 mit einem Flüchtlingsboot von der Türkei aus nach Griechenland und schlagen sich schließlich nach Bremen durch, wo ein Onkel wohnt. Die Jugendlichen lassen sich registrieren und müssen zunächst in ein Flüchtlingslager nach Friedland bei Göttingen ziehen.

In Göttingen finden die Badawis einen Judoverein, nehmen ihr Training wieder auf. «Der Sport war mein Türöffner», sagt der junge Mann rückblickend. «So habe ich die deutsche Sprache gelernt und Freunde gefunden.» Ein Teamkollege überlässt den Brüdern aus Syrien zwei Jahre lang sein Jugendzimmer – die Eltern inklusive. «Sie waren unsere Ersatzfamilie», sagt der 23-Jährige mit strahlenden Augen. Zuvor hatten sich die beiden Jungen in der Flüchtlingsunterkunft mit fünf Fremden ein Zimmer teilen müssen. «Die Lebensbedingungen waren nicht gut und die Sauberkeit nicht in Ordnung», fasst er nüchtern zusammen. Eine Beschwerde klingt anders.

«Fares ist sehr dankbar und ehrlich», sagt Peter Klammer, der in Göttingen mehrere Jahre lang sein Trainer war. «Als ich ihm mal einen alten Trainingsanzug geschenkt habe, hatte er Tränen in den Augen und ist mir um den Hals gefallen.» Auch Deutsch habe er im Team sehr schnell gelernt. «Sport ist als Integrationshilfe unschätzbar», ist sich Klammer sicher.

Doch nicht alle im Verein waren begeistert. Der Vater eines Mädchens beschwerte sich nach Angaben von Klammer und stellte dem Trainer ein Ultimatum: die Flüchtlinge oder seine Tochter. «Das sind ‚Moslems‘, die vergewaltigen Frauen, hat er gesagt. Aber ich sage: Schwarze Schafe gibt es überall, es sind nicht alle gleich.» Der 67-Jährige blieb bei seiner Entscheidung für die Badawi-Brüder.

Seit anderthalb Monaten wohnen auch Badawis Eltern und sein jüngster Bruder dank Familiennachzug in Braunschweig. Der älteste Bruder lebt in Schweden. Der Vater könne nicht viel mit dem Sport anfangen, die Mutter unterstütze ihn, seit er mit acht oder neun Jahren mit dem Judo anfing. «Nur wenn ich mich mal verletze, bekommt sie Zweifel.»

Entscheidend für Badawis WM-Teilnahme war die Leistung des Judokas beim Grand Prix in Budapest im Juli. «Er hat zwar verloren, war aber insgesamt besser und hat den Kampf dominiert», resümiert Klammer. Der Trainer sagt: «Sein Können im Judo liegt weit über dem Durchschnitt. Fares war eine echte Bereicherung für uns, aber nicht nur in sportlicher Hinsicht.»


(dpa)

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