Crailsheim – Euphorisch wird die Bundesliga-Tabelle in Crailsheim immer und immer wieder übers Handy weitergeschickt.
Schließlich verblüffen die Basketballer aus dem Nordosten Baden-Württembergs mit ihrem grandiosen Saisonstart – und führen mindestens bis zum Wochenende mit fünf Siegen sogar die Tabelle an. Die Hakro Merlins Crailsheim haben sich vom Beinahe-Absteiger zum Überraschungsteam gewandelt. Wie die großen Clubs FC Bayern und Alba Berlin ist Crailsheim noch unbesiegt – und das nur gut fünf Monate nach dem Zittern am letzten Spieltag der Vorsaison.
«Letztes Jahr war kein Tiefpunkt. Das war für uns schon der größte Erfolg der Vereinsgeschichte», sagt der sportliche Leiter Ingo Enskat der Deutschen Presse-Agentur und will auch jetzt von einem anderen Saisonziel als dem Klassenerhalt nichts wissen.
Die Fans in der rund 35.000-Einwohner-Stadt sollen die zum großen Teil alles andere als knappen Siege gegen Gießen, Bayreuth, Bonn, Göttingen und den MBC genießen und bei den Gesprächen auf der Straße gerne von den Playoffs träumen. Enskat aber sagt: «Erst wenn der Klassenerhalt rechnerisch geschafft ist, können wir darüber reden, was noch möglich ist. Ab zehn Siegen fühle ich mich wohl.»
In der vergangenen Saison hatten die Merlins am Ende nur vier Siege mehr als jetzt. Fünf Erfolge standen damals erst am 22. Spieltag zu Buche. Nun dürften die kommenden vier Partien zeigen, was der Außenseiter möglicherweise in dieser Saison leisten kann. Am Samstag ist Oldenburg zu Gast, Playoff-Halbfinalist der Vorsaison. Dann geht es gegen Ludwigsburg, Vechta und auswärts zum Titelfavoriten FC Bayern. «Es ist die Stärke der Mannschaft, dass sie sich mit ihrer Unerfahrenheit noch nicht viele Gedanken macht», sagt Enskat auch mit Blick auf diese Prüfungen.
Wie erstaunlich die wahrscheinlich kurze Momentaufnahme ist, dass Crailsheim momentan dank der besseren Korb-Differenz auch die Bayern hinter sich lässt, verdeutlicht auch die finanzielle Ausgangslage. Crailsheim plant seine Saison mit rund drei Millionen Euro, dies ist der Mindestetat der Liga. Doch der radikale Schnitt in diesem Sommer scheint auch dank «Glücksgriffen» (Enskat) funktioniert zu haben.
«Dass wir eine deutlich jüngere Mannschaft haben, mehr Athletik, mehr Intensität, das bringt uns auf dem Feld richtig was», erklärt Enskat und begründet weiter: «Wir haben eine tolle Teamchemie. Dann kommt was zustande, das passiert nicht jedes Mal.»
Gleich acht neue Spieler kamen zur neuen Saison nach Crailsheim, das rund 100 Kilometer von Stuttgart entfernt liegt. Die Verantwortlichen haben offenbar die richtigen Entscheidungen getroffen. Unter den Zugängen sind vier der fünf aktuellen Topscorer. Der erfolgreichste Punktesammler Javontae Hawkins wechselte vom griechischen Club Holargos BC zum Bundesliga-Außenseiter. Aber auch Trainer Tuomas Iisalo habe seinen Anteil am Erfolg, weil er seine Herangehensweise verändert habe und aggressiver spielen lasse, so Enskat.
Iisalo hatte schon vor der Saison prognostiziert: «Wenn die Puzzleteile ineinandergreifen, haben wir meines Erachtens eine gute Chance, unsere Platzierung der letzten Saison zu verbessern.» Einen solchen Saisonstart hat aber auch der 37-jährige Finne wohl nicht einkalkuliert.
(dpa)