Moskau (dpa) – Sportlich gegen die Europäer oft unterlegen, auf den Rängen klar vorne: Lateinamerikaner und Afrikaner prägen das Bild der WM abseits des Fußballplatzes. Sie trommeln, tanzen mit farbenfrohen Masken durch die russischen Innenstädte und geben auch in den Stadien den Ton an.
Dabei haben sie im Vergleich mit den europäischen Anhängern eine deutlich weitere und häufig auch teurere Anreise. Wieso dominieren sie in Russland?
Viele lateinamerikanische Fans seien «leidenschaftlicher von den Spielen der Nationalmannschaft betroffen» als die europäischen, sagt Harald Lange, Leiter des Instituts für Fankultur in Würzburg. In Deutschland und anderen Ländern Europas habe der Vereinsfußball bei vielen aktiven Fans emotional einen deutlich höheren Stellenwert als die Nationalmannschaft.
Die Leidenschaft der Lateinamerikaner und Afrikaner drückt sich in kreativer Unterstützung aus – und sorgt dadurch für kulturellen Austausch. Der ägyptische Pharaonenkopfschmuck, die Bambustrommeln der Senegalesen, die mexikanischen Wrestlingmasken: alles beliebte Motive für Fotos mit den Gastgebern und Fans anderer Nationen.
Dazu kommen lautstarke Gesänge. «Wir haben in diesem Moskauer Stadion gedacht, wir spielen in Casablanca», hatte Marokkos Trainer Hervé Renard nach der 0:1-Niederlage seines Team gegen Portugal im Luschniki-Stadion gesagt. Mexikos Torhüter Guillermo Ochoa meinte nach dem 2:1-Sieg gegen Südkorea, die Partie sei «wie ein Heimspiel» gewesen.
Bereits gegen Deutschland hatten die mit Sombreros und Masken ausgetatteten Anhänger von El Tri das Stadion stimmlich klar beherrscht. «Da kannten alle die Lieder und hatten auch den Anspruch, mitzusingen. Das fehlt bei den deutschen Fans so ein bisschen», sagt Michael Gabriel. Er ist bei der WM für die Fanbotschaft verantwortlich, die als Anlaufstelle für deutsche Fans dient.
«Der Kern der deutschen Fans, der früher die Stimmung in den Stadien ausgemacht hat, ist in den letzten zehn bis 15 Jahren gebröckelt», sagt Gabriel. Dafür gäbe es mehrere Gründe: Kritik an der Kommerzialisierung und am Fußball-Weltverband FIFA sowie die zunehmende Fokussierung vieler stimmungsorientierter Fans auf den eigenen Club seien mögliche Erklärungsansätze.
Unter den Top-Ten-Nationen bei den Ticket-Verkäufen sind in Brasilien (72.512), Kolumbien (65.234), Mexiko (60.302), Argentinien (54.031) und Peru (43.583) alleine fünf lateinamerikanische Länder. Aus Europa schafften es in der vom Fußball-Weltverband FIFA kurz vor WM-Start veröffentlichten Liste nur Gastgeber Russland (871.797) und Deutschland (62.541) in die besten zehn Ränge.
Die Fans, die nach Russland gereist sind, sehen ihre Stars häufig nur noch bei den Spielen. Bei der WM 1982 in Spanien ließ sich Nationalspieler Paul Breitner noch umringt von planschenden Hotelgästen am Pool interviewen. Diese Zeiten sind lange vorbei. Zwischen den Partien ziehen sich die Teams größtenteils zurück, trainieren häufig hinter verschlossenen Türen. «Die Mannschaften werden in Luxus gebettet und abgeschottet», sagt Fanforscher Lange. «Das nennt man dann professionell, taugt aber nicht, um die Bindung zu den Fans stärken.»
Dass es auch anders geht, zeigten zum Beispiel Peru und Mexiko. Die Peruaner ließen sich von ihren Fans zu Beginn des Turniers im Teamhotel in der Nähe des Moskauer Flughafens Scheremetjewo laut singend empfangen. Das mexikanische Team trat in der Nacht vor dem Duell mit Südkorea sogar geschlossen vor seine Unterkunft in Rostow am Don und bedankte sich bei rund 200 Fans für die Unterstützung.
Und rund um das deutsche Team? Da kann sich Gabriel vorstellen, dass der Last-Minute-Sieg gegen Schweden nicht nur sportlich enorm wichtig war, sondern auch die Bindung zwischen Fans und Mannschaft stärkt. «Das 2:1 könnte ein Moment gewesen sein, bei dem der Funke auch auf die Fankurve übergesprungen ist», sagt er.
Ob das reicht, um mit den Lateinamerikanern oder Afrikanern mitzuhalten, wird man vielleicht im Laufe des Turnierverlaufs noch sehen. Dafür muss sich Deutschland allerdings erstmal sportlich für das Achtelfinale qualifizieren. Aber das ist eine andere Geschichte.
(dpa)