Frankfurt/Main – Als Christian Seifert den alten und neuen Fußball-Meister FC Bayern ehrte, lagen die mit Abstand turbulentesten Monate seiner Funktionärskarriere hinter ihm.
Nach einer unerwarteten Corona-Vollbremsung und über zwei Monaten Spielpause drohte zwischenzeitlich bis zu 13 Proficlubs die Insolvenz, dazu kam immer lautere Kritik aus der Gesellschaft an den Auswüchsen des Fußballs. Positive Tests hier, entlarvendes Fehlverhalten da, Quarantäne dort: Der von der Politik genehmigte Neustart für Mitte Mai schien zwischenzeitlich zudem zu einer Mission impossible zu werden.
Nun – rund sechs Wochen später – sind tatsächlich alle restlichen Spiele vor dem so oft beschworenen 30. Juni absolviert, der Geistermeister reibungslos gekürt und die direkten Absteiger gefunden. «Ja, es sieht anders aus, es sieht hört sich anders an, und es fühlt sich anders an. Aber das war die einzige Bundesliga, die möglich war», sagte Seifert am Samstag in Wolfsburg. Die leise Hoffnung, dass es beim geplanten Saisonstart im September schon wieder halbwegs volle Arenen geben könnte, dämpfte er entschieden: «Die neue Saison wird mindestens zu Beginn noch genauso aussehen.»
Und so hat die Bundesliga auf dem langen Weg zurück in die Normalität mit dem gelungenen Neustart zunächst nur ein Etappenziel erreicht. Das umfangreiche Hygienekonzept und die schnelle Erlaubnis durch die Politik hat die höchste deutsche Spielklasse zu einem internationalen Vorbild werden lassen. Auch die Beteiligten sind stolz. «Jeder hatte eine große Verantwortung, das war eine ganz starke Leistung», betonte Bayerns Meister-Trainer Hansi Flick. Er sprach von Erleichterung dank des schlüssigen Konzepts und von «Stolz, weil die Bundesliga im internationalen Vergleich so vorangegangen ist».
Als in Italien, England und Spanien gerade erst wieder der Ball zu rollen begann, wurde in Deutschland schon wochenlang gespielt – und Seifert und Co. schlossen bereits den nächsten großen TV-Vertrag ab. 4,4 Milliarden Euro gibt es für die vier Spielzeiten 2021/22 bis 2024/25. Das bedeutet zwar im Vergleich zum derzeitigen Zyklus einen Rückgang um rund 240 Millionen Euro, doch DFL und Club-Vertreter werteten das erzielte Ergebnis durchweg positiv und betonten in derart ungewissen Zeiten die mittelfristige Planungssicherheit.
Im bevorstehenden langen Corona-Sommer bis September wird das Durchatmen trotzdem nur ein kurzes sein. Insgesamt fünf Clubs sind im August in den Finalturnieren von Champions und Europa League gefordert. Die DFL wird die Liga-Pause zeitgleich nutzen, um mit den zuständigen Ministerien für weitere Lockerungen und die schrittweise Rückkehr der Fans in die Stadien zu kämpfen.
Dass die Spielzeit eine normale werden könnte, glaubt Seifert nicht. «Die nächste Saison, die im Idealfall wieder geregelt abläuft, wird 2021/22 sein. Das deutet sich jetzt schon an. Dieser Sommer wird für Clubs in Europa ein ganz herausfordernder», warnte er. Besonders spannend dürfte dabei in Corona-Zeiten der Prozess von Geisterspielen zurück zur Normalität werden. Wie viel Prozent der Fans dürfen wieder rein, wie kann deren Sicherheit sowohl im Stadion als auch bei An- und Abreise gewährleistet werden? Diese Fragen dürften den Sommer genauso prägen wie das alljährliche Transferspektakel, bei dem die Summen in diesem Sommer ein wenig sinken dürften.
Doch nicht nur die Vorbereitungen auf den Neustart 2.0. stehen an, sondern auch Imagepflege hat der Profifußball nach den durch die Corona-Krise massiv offengelegten Schwachstellen dringend nötig. Viele Fan-Szenen wollen im Milliardenbusiness kein «Weiter so!» und haben ein Bündnis gegründet, um konkret für eine gleichmäßigere Verteilung der TV-Gelder, die Einführung eines nationalen Financial Fairplays und die eindeutige Begrenzung von Investoreneinflüssen zu werben.
Die DFL will sich diesem Dialog öffnen, unter anderem mit der Gründung einer Task Force Zukunft Profifußball ab September. Vor allem Seifert hatte sich in der Krisenphase sehr demütig präsentiert. Bayern-Präsident Herbert Hainer sagte der «Augsburger Allgemeinen», die Kritik an Hygienekonzept und Geisterspielen sei auch heute noch nachvollziehbar. «Doch so, wie alles seit dem Re-Start gelaufen ist, finde ich schon, dass der Fußball stets eine vertretbare Position eingenommen, also auch eine gute Rolle gespielt hat», sagte Hainer.
Sportlich war auch nach der Corona-Pause vieles beim Alten. Sowohl die prognostizierten Torfeste als auch eine Kräfteverschiebung innerhalb der Liga blieben aus. Die Serienmeister aus München sicherten sich souverän und nach der Pause gar ohne Punktverlust den achten Titel am Stück, mit dem tabellarisch abgeschlagenen Aufsteiger Paderborn erwischte es wie so oft in den vergangenen Spielzeiten einen Neuling, an den ersten vier Plätzen änderte sich nach der Pause nichts mehr.
«Das ist ein besonderer Moment. Das ist aber auch ein sehr seltsamer Moment. So eine Saison haben alle noch nicht erlebt. Keine Zuschauer, kein Jubel, keine Pfiffe – das ist eine merkwürdige Atmosphäre», resümierte Seifert. Welche Atmosphäre Fans und Clubs beim möglichen nächsten Saisonstart in rund zweieinhalb Monaten erwartet, ist derzeit noch nicht abzusehen.
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(dpa)