Diskus-Ass Christoph Harting zeigt Größe nach WM-Aus

Erfurt – Der größte Verlierer zeigte nach dem Diskus-Debakel Größe. «Was soll ich aus der Haut fahren, der Wettkampf ist vorbei. Es hat eben nicht gereicht», kommentierte Olympiasieger Christoph Harting unerwartet entspannt und lächelnd sein überraschendes WM-Aus.

«Shit happens und weiter geht’s!» Mit dieser fairen Akzeptanz der bitteren Pleite korrigierte er das Bild, das durch seinen peinlichen Auftritt bei der olympischen Siegerehrung von Rio geprägt worden war.

Dabei hätte Christoph Harting allen Grund gehabt, sauer und verärgert zu sein. Er hatte bei den deutschen Meisterschaften in Erfurt mit 62,51 Metern als Vierter die WM-Norm von 65 Meter nicht nur klar verfehlt. Vielmehr war der 27-jährige Werfer wieder in den Schatten seines fünf Jahre älteren Bruders Robert zurückgekehrt, aus dem er mit dem goldenen Wurf am Zuckerhut erstmals getreten war.

Dennoch reagierte er auch auf dieses Thema recht souverän. «Eine tolle Comebackstory», sagte Christoph Harting zum Jubiläumstitel und der erreichten Teilnahme seines Bruders an den Weltmeisterschaften im August in London. «Dass es wieder geklappt hat, ist mega. Dem Mann sind 67 bis 68 Meter zuzutrauen, egal, in welchem Zustand», sagte der jüngere Harting mit anerkennenden Worten, die aber auch die nicht gerade unbelasteten Familienbande zum Ausdruck brachten.

Völlig überraschend kam für Christoph Harting das Scheitern nicht. «Es gibt ein Phänomen aus der Sportpsychologie: Wer bei Olympia etwas gerissen hat, bei dem ist danach die Luft raus», erklärte er. Dafür kämen Athleten, die in Rio erfolglos gewesen seien, stärker zurück – so wie der Schwede Daniel Stahl. «Er ist mit 71,29 Metern aus der Versenkung gekommen. Holla, die Waldfee!»

Für ihn sei ohnehin klar gewesen, dass er im Jahr eins nach Olympia «20 bis 30 Prozent» weniger trainieren wollte. Dennoch wollte er es darauf ankommen lassen, «ob es klappt oder nicht». Nachdem es schief gegangen ist, will er sich nun auf die EM 2018 in Berlin und die Olympischen Spiele 2020 in Tokio konzentrieren: «Vom Winter an wird langfristig aufgebaut.»

Mutmaßungen, der deutsche Verband könne ihm noch ein Hintertürchen nach London öffnen, beendete der DLV-Cheftrainer am Sonntag. «Zum jetzigen Zeitpunkt können wir Christoph Harting nicht nominieren, weil er weder die DLV- noch die IAAF-Norm erfüllt hat», erklärte Idriss Gonschinska. «Alles andere ist spekulativ.» Nämlich, ob der Weltverband IAAF das Diskus-Starterfeld bei der WM möglicherweise noch auffüllen muss und den Olympiasieger berücksichtigen könnte. «Um Gottes willen, ich will keine Extrawurst», meinte Christoph Harting.

Statt des ersten WM-Duells der Brüder wird es nun wieder ein Solo für Robert Harting an der Themse geben, wo er 2012 Olympia-Gold holte. «Ich werde nicht mit hängendem Kopf nach London gehen. Dort habe ich einen meiner schönsten Tage erlebt», meinte der 32-jährige Weltmeister von 2009, 2011 und 2013. Dass sein Bruder kein WM-Ticket holte, quittierte Robert Harting kühl: «Grundsätzlich geben alle ihr Bestes, das gehört zum Prozess des Lernens.»

Zurückhaltend ist er mit Prognosen, was für ihn bei der WM auf der Zielgeraden seiner Karriere, die er 2018 nach der EM in seiner Heimatstadt Berlin beenden wird, noch möglich ist. «Ich fühle mich noch nicht so wohl, dass ich sagen könnte, ich zeige es euch», sagte Robert Harting, der in Erfurt mit 65,65 Metern seinen zehnten Titel seit 2007 gewann.

Dafür, dass er nach Knieproblemen im Winter erst seit März «ansatzweise etwas mit Diskus» zu tun habe, sei es bisher sehr gut gelaufen – mit einer Bestweite von 66,30 Meter. «Gemessen an einem Aktienkurs, wäre man mit Aktien eines Robert Hartings vor drei, vier Jahren jetzt bankrott», meinte er. «Aber hätte man sie Anfang des Jahres gekauft, hätte man jetzt 500 bis 600 Prozent plus gemacht.»

Bei der WM will er alles versuchen, damit seine Aktie weiter steigt. Bis zum Karriere-Schluss soll sein unbändiger Ehrgeiz noch Vorrang vor dem Genuss haben. «Es bleibt bis zum Ende Arbeit, das kann man auch genießen», meinte Robert Harting. «Genießen ist eine Art zu entspannen, das ist nicht gut.»


(dpa)

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