München – Seit dem Tag nach dem historischen WM-Vorrunden-Aus hatte sich Joachim Löw nicht mehr geäußert, nun analysierte der Bundestrainer gemeinsam mit Manager Oliver Bierhoff das WM-Debakel und benannte seinen Kader für die Spiele gegen Frankreich (6. September) und Peru (9. September).
Die Deutsche Presse-Agentur fasst die wichtigsten Aussagen von Löws Pressekonferenz in der Münchner Allianz Arena zusammen.
Bundestrainer Joachim Löw zu …
– den Tagen nach dem K.o.: «Das WM-Aus war für mich und für uns alle natürlich ein absoluter Tiefschlag. Da gibt es nichts zu beschönigen. In Russland sind wir alle weit unter unseren Möglichkeiten geblieben und haben zurecht die Quittung dafür bekommen. Die ersten zwei, drei Tage danach waren bei mir persönlich geprägt von einem großen Frust, von Niedergeschlagenheit, von einer großen Enttäuschung und von einer großen Portion Wut.»
– Arroganz bei der WM: «Mein allergrößter Fehler war, dass ich geglaubt habe, dass wir mit unserem dominanten Stil durch die Vorrunde kommen. Wenn wir dieses Spiel spielen, müssen alle Rahmenbedingungen stimmen, damit wir dieses hohe Risiko auch tolerieren können. Diese Rahmenbedingungen haben in diesen Spielen bei uns nicht gepasst. Es war fast schon arrogant. Ich wollte das auf die Spitze treiben und es noch mehr perfektionieren.»
– Differenzen in der eigenen Mannschaft: «Da wird viel geschrieben, was auch so nicht zutrifft. Nach unserer Analyse konnten wir die Cliquenbildung mit Konflikt nicht identifizieren. Das stimmt so nicht. Es wird mal ein Spaß gemacht, das gehört dazu. Es gibt keine unüberbrückbaren Differenzen oder Konflikte, die nicht gelöst worden sind. Wir hatten aber nicht den unglaublichen Teamgeist, der sich bei der Nationalmannschaft manchmal auch nur im Lauf des Turniers entwickelt.»
– Lehren aus dem Turnier: «Die Defensive stand viel mehr wieder im Vordergrund. Fast alle Mannschaften haben nur mit drei offensiven Spielern agiert. Es sind viel mehr Tore aus Kontersituationen gefallen. Die Standards haben eine nicht unwesentliche Rolle für diesen Erfolg. In einem K.o.-Wettbewerb ist eine Anpassung des Ballbesitzfußballs gefragt. Zweite Erkenntnis: Wenn man ein Turnier gewinnen will, muss man ein Feuer schüren und das muss sich immer mehr vergrößern. Nachdem wir 2014 an der Spitze waren, haben wir es in Russland nicht geschafft, neue Schlüsselreize zu setzen.»
– Wechsel im Trainerstab: «Es bedarf natürlich auch Veränderungen. Wir hatten ein sehr, sehr großes Team, einen sehr großen Trainerstab. Wir wollten die Konzentration wieder etwas schärfen und kürzere Wege haben. Manchmal ist weniger mehr. Wir haben uns entschieden, dass Thomas Schneider nicht mehr im Trainerstab sein wird. Wir haben entschieden, dass Thomas Schneider die Leitung der Scoutingabteilung übernimmt. Wir wollten ganz bewusst einen Fachmann im Scouting-Team haben, was die Gegneranalyse betrifft.»
– Mesut Özil: «Viele haben sich gefragt, warum ich mich dazu nicht geäußert habe. Es war so, dass sein Berater mich angerufen hat. Der Spieler selbst hat mich nicht angerufen. In der Vergangenheit war es sonst immer so. Mesut hat sich für einen anderen Weg entschieden. Ich habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen, per SMS oder per Telefon. Es ist mir nicht gelungen, ihn ans Telefon zu bekommen. Das muss ich jetzt einfach mal akzeptieren. Wir haben die Situation absolut unterschätzt mit den Fotos.»
– Sami Khedira: «Ich hatte ein längeres Gespräch mit ihm und habe ihm gesagt, dass ich jetzt Raum und Platz schaffen möchte auf dieser Position. Wir sprechen zu gegebener Zeit weiter. Sami hat sich klare Ziele gesetzt, er hat sich nach dieser WM in der Verantwortung gesehen. Momentan hab ich ihm gesagt, dass ich ihn nicht nominiere. Dann wird seine Leistung entscheiden.»
– Leroy Sané: «Zum damaligen Zeitpunkt waren wie der Meinung, dass der Kader so der Beste ist. Dass der Leroy ein unglaubliches Talent hat, ist uns nicht verborgen geblieben. Ich habe ihm gesagt: Deine Zukunft bei der Nationalmannschaft, die muss dann nach der WM beginnen. Du kannst für uns ein sehr wichtiger Spieler in den nächsten Jahren werden. Es ist hypothetisch, jetzt zu sagen, das hätte man anders machen müssen.»
– Achse des DFB-Teams: «Wir brauchen eine Achse, an denen sich die anderen orientiert. Die, die jetzt geblieben sind, haben die Qualität. Mats, Jérôme, Toni sind Spieler, die es auf internationaler Bühne bewiesen haben. Sie müssen das in den nächsten Wochen und Monaten auch unter Beweis stellen.»
– Ilkay Gündogan: «Ilkay hatte sich im Trainingslager erklärt. Bei ihm weiß ich, dass er sich mit unseren Werten absolut identifiziert. Er konnte in dieser Situation nicht seine gewohnte Leistung abrufen. Aus sportlichen Gründen sehe ich den Ilkay für die nächsten zwei Jahre als wichtigen Spieler, weil er eine großartige Technik und ein großartiges Passspiel hat. Ich sehe in ihm einen Spieler, der den Durchbruch bei uns schafft. Sportlich war es für mich keine Frage, ihn einzuladen.»
– Internetspielen im WM-Quartier: «Eines kann ich mit Sicherheit sagen. Es wird viel geschrieben. Einmal war es zwei Tage nach einem Spiel, dann wurde das Internet abgestellt. Unsere Spieler sind wirklich wahnsinnig professionell, es gibt keinen Alkohol. In der Regel sind unsere Spieler auf ihren Zimmern. Was sie da machen, werden wir auch nicht immer kontrollieren. Aber was die Professionalität angeht, können sie davon ausgehen, dass unsere Mannschaft das sehr seriös macht. Dass sie nachts mal Karten spielen oder im Internet sind, ist alles auch nicht völlig unnormal. Das waren nicht die entscheidenden Dinge, dass wir das vergeigt haben.»
– Mario Götze: «Mario Götze ist bei uns nicht abgeschrieben. Er hat ein gutes Alter und man weiß, dass er gute Qualitäten hat. Meine Sicht der Dinge ist: Er soll sich in Dortmund mal wieder richtig zeigen. Wenn er das schafft, dann wird er für uns mit Sicherheit wieder ein Thema.»
(dpa)