Tychy – Deutschland hat einen neuen Torwart-Helden. Das Land von Neuer, Kahn, Maier und Co. staunt über einen bis vor Kurzem noch fast unbekannten 22-Jährigen.
Julian Pollersbeck hat die deutsche U21-Nationalmannschaft mit zwei Paraden im Elfmeterschießen beim 4:3-Halbfinal-Sieg gegen England ins EM-Endspiel geführt. «Es war einfach geil. Für solche Spiele, für solche Momente gucken wir alle Fußball, dafür spielen wir Fußball», schwärmte Pollersbeck.
Der Torhüter, der nach der EM vom 1. FC Kaiserslautern zum Hamburger SV wechselt, stammt aus der Torwartschule von Gerry Ehrmann. Dabei ist der gebürtige Altöttinger eigentlich ein Spätstarter, der mit 18 noch für Wacker Burghausen II in der Bayernliga spielte und erst 2016 in der U21 sein Debüt für eine DFB-Auswahl feierte. «Er strahlt sehr viel Ruhe aus», lobte Trainer Stefan Kuntz seine Nummer eins. «Seine mentale Stärke ist schon beeindruckend.»
Erst kurz vor Turnierbeginn entschied sich das Trainerteam für Pollersbeck als Stammtorhüter. Der erwischte einen nervösen Start, zahlte das Vertrauen dann aber Stück für Stück zurück. «Er ist unser absoluter Rückhalt geworden», sagte Verteidiger Marc-Oliver Kempf über den 22-Jährigen, der sich in Polen als Spaßvogel mit bayerischer Gelassenheit und viel Humor präsentiert. «Wir können uns blind auf ihn verlassen. Das stärkt uns natürlich den Rücken», sagte Kempf.
Schon im letzten Gruppenspiel gegen Italien hielt Pollersbeck seine Mannschaft im Turnier, gegen England wurde er zum Matchwinner. «Wir wissen aus dem Training, dass er ein Elferkiller ist», sagte Teamkollege Davie Selke. «Das hat er heute gezeigt. Er spielt eine überragende EM.» Pollersbeck wollte die Leistung nicht überbewerten: «Als Torwart kannst du nur gewinnen im Elfmeterschießen», sagte er. «Wir haben einen mehr gemacht und alle die Nerven behalten.»
Sein Erfolgsrezept für gehaltene Elfmeter? «Ins richtige Eck hechten und schauen, dass man die Pranke da noch hinkriegt», kommentierte der Neu-Hamburger trocken. Geholfen haben könnte auch der Spickzettel, den Torwarttrainer Klaus Thomforde seinem Schützling vor dem Showdown zusteckte, wie einst Andy Köpke Jens Lehmann bei der WM 2006. «Andy Köpke hat mir geschrieben und gesagt: Wenn es zum Elfmeterschießen kommt, dann denkt bitte an den Zettel», berichtete Thomforde.
Was auf dem Papier stand? Das wollte Pollersbeck nicht sagen. «Da standen schon ein paar Namen drauf, aber mehr will ich nicht verraten», sagte der 22-Jährige. «Am Ende ist es immer eine situative Entscheidung.» Nach seinem zweiten gehaltenen Elfmeter begruben seine Mitspieler Pollersbeck in einer Jubeltraube im Tor unter sich. «Ich war im Netz, habe aber gestanden», berichtete er lachend. Angst habe er keine gehabt. «Wenn das Netz zerreißt, bin ich wieder frei.»
Bei den Teamkollegen ist Pollersbeck inzwischen nicht nur als sicherer Rückhalt anerkannt, er hat auch eine weitere besondere Rolle im Team: Nach jedem Spiel singt die Mannschaft gemeinsam in der Kabine – und Pollersbeck ist der Vorsänger. «Die Strophen bleiben ein Geheimnis, das ist unser internes Ding», sagte er. Während Pollersbeck im Dialekt die Strophen singt, stimmt der Rest des Teams beim Refrain «Fiderallala» lautstark ein. Jeremy Toljan lobte: «Er ist der Vorsänger, das macht er gut. Der macht vieles gut hier.»
(dpa)