Paderborn – Die 45-minütige Fußballshow tat Lucien Favre sichtlich gut. Fröhlich klatschte der Trainer von Borussia Dortmund seine Spieler mit der Faust ab und konnte fünf Tage nach der bitteren Niederlage im Liga-Gipfel gegen den FC Bayern wieder lachen.
Bis die Enttäuschung über den höchstwahrscheinlich erneut verpassten Titel komplett überwunden ist, wird es noch ein wenig dauern. Doch mit einem halben Dutzend Tore machte der BVB gegen den SC Paderborn einen ersten Schritt aus dem Stimmungstief.
Der überragende Dreifachtorschütze Jadon Sancho, der zusammen mit Achraf Hakimi ein deutliches Zeichen gegen Polizeigewalt und Rassismus setzte, Thorgan Hazard & Co. sorgten mit ihrer Spielfreude und Effizienz im zweiten Durchgang dafür, dass die Debatten um Favres Zukunft erst einmal weniger werden. Durch das 6:1 machte der BVB zudem den ersten Schritt in Richtung neues Saisonziel. Platz zwei festigen, die Champions-League-Qualifikation so schnell wie möglich klar machen – so lautet der Plan B. Und ein ganz kleines bisschen Resthoffnung gibt es dann vielleicht doch noch.
«Es wird brutal schwer», sagte Favre zum Titel-Thema. Der 62-Jährige sprach gewohnt wenig über die Situation in der Tabelle und richtete seinen Blick ganz typisch auf die einzelnen Aufgaben. «Wir haben noch fünf Spiele. Das nächste Spiel ist das Wichtigste. Es wird gegen Berlin sehr schwer für uns.» Die unter der Regie von Trainer Bruno Labbadia wiedererstarke Hertha dürfte den BVB am kommenden Samstag mehr fordern als Paderborn.
Für Favre dürfte die Woche bis dahin ruhiger werden, als die ersten Tage nach dem vermutlichen Titel-Knockout beim 0:1 am vergangenen Dienstag gegen München. Kritiker sprachen dem Schweizer zum wiederholten Male die Fähigkeit ab, mit seinen Teams Titel zu gewinnen. Zudem waren Aussagen Favres als Rücktrittsgedanken gedeutet worden. Der Coach selbst und der BVB hatten Spekulationen über einen vorzeitigen Abschied des Fußball-Fachmanns zurückgewiesen. Die BVB-Spieler trugen nun ihren Teil zur allgemeinen Lage-Beruhigung bei.
«Die Borussia hat den Charaktertest bestanden», resümierte Dortmunds langjähriger Torwart und deutsche Meister von 2011 und 2012, Roman Weidenfeller, bei «Sky90». Der 39-Jährige wies jedoch auch auf ein mögliches Kernproblem des BVB hin. «Vielleicht fehlt ein Stück weit die Siegermentalität in den Topspielen», sagte er. Dem Revierclub fehle noch ein Stück, um sich in Duellen mit den FC Bayern auf Augenhöhe messen zu können.
Auf Augenhöhe war Paderborn am Sonntag nur vor dem Seitenwechsel, danach zeigten die Dortmunder, was sie gerne auch schon gegen den Branchenprimus gezeigt hätten. Angriff auf Angriff rollte auf das Tor des fast sicheren Absteigers zu, der in der Schlussphase hoffnungslos überfordert war. «Wenn bei uns Spielfreude aufkommt, die Lockerheit mit der nötigen Konzentriertheit gleichzeitig da sind, dann sind wir sehr gut», stellte Abwehrchef Mats Hummels treffend fest und lobte seinen Trainer ausdrücklich für eine kleine taktische Umstellung in der Pause, «die wirklich sehr gut gegriffen hat».
Durch das verstärkte Flügelspiel kam besonders der extrem gut aufgelegte Sancho zur Geltung. Der 20-Jährige hatte gegen die Bayern noch 45 Minuten auf der Bank gesessen und erzielte beim SCP seinen ersten Bundesliga-Dreierpack. Nach dem 2:0 zog Sancho sein Trikot über den Kopf, zeigte ein Shirt mit der Aufschrift «Justice for George Floyd» und demonstrierte damit seine Solidarität mit dem nach einem Polizeieinsatz in den USA gestorbenen Afroamerikaner. Auch Teamkollege Hakimi trug ein solches Shirt.
Sancho äußerte sich nach dem Spiel in sozialen Netzwerken zu der Aktion. Seine drei Tore beschrieb er als «bittersüßen» Moment, «weil heute wichtigere Dinge auf der Welt passieren, die wir ansprechen müssen, um dabei zu helfen, etwas zu ändern.» Sancho ergänzte: «Wir sollten keine Angst haben, die Stimme zu erheben für das, was richtig ist, wir müssen uns alle zusammentun und gemeinsam für Gerechtigkeit kämpfen.» Seinen Beitrag beendete er mit den Worten: «Zusammen sind wir stärker!»
Dieses auch im Sport häufig zitierte Motto kann der BVB auch auf dem Platz mit in die Saisonendphase nehmen. Und zumindest ein Borussia-Spieler hat den Traum vom Titel noch nicht ganz aufgegeben. «Wir müssen weiter nach vorne gucken», sagte Verteidiger Manuel Akanji. «Mathematisch ist es immer noch möglich, darum versuchen wir unseren Teil auf dem Spielfeld zu regeln – und das haben wir heute gemacht.»
(dpa)