Hochfilzen – Nach ihrem Wahnsinnstrip in die Geschichtsbücher konnte Laura Dahlmeier beim Siegerfoto ihre Medaillensammlung fast nicht festhalten. Simon Schempp beendete mit dem Titel im Massenstart seinen WM-Fluch.
Die deutschen Biathleten haben mit einem letzten Kraftakt für einen denkwürdigen Abschluss der WM in Hochfilzen gesorgt und mit sieben Goldmedaillen so viele geholt wie noch nie.
«Ein Traum ist wahr geworden. Vorher hätte ich nicht geglaubt, dass das möglich ist», sagte die sechsfache Medaillengewinnerin Dahlmeier, die sich im Massenstart mit ihrem fünften WM-Titel zur neuen Biathlon-Königin krönte und Rekorde aufstellte, die wohl sehr lange Bestand haben werden.
Was Dahlmeier nun schon en masse hat, wollte auch Schempp unbedingt. Als bester deutscher Skijäger wurde er nie Einzel-Weltmeister, nun aber strafte er seine Kritiker Lügen. «Es ist ein genialer Tag und eine große Erlösung. Ich musste mich immer rechtfertigen und es war kein schönes Gefühl. Ich bin enorm stolz auf mich», sagte Schempp.
Insgesamt holten die Deutschen in Tirol mit den Erfolgen von Dahlmeier, Schempp, Sprint-Weltmeister Benedikt Doll und den Siegen in der Damen- und Mixed-Staffel acht Medaillen und damit eine mehr als 2016 in Oslo.
Bundestrainer Gerald Hönig gehen derweil langsam die Superlative aus. «Da fehlen die Worte. Dass eine die Szene so beherrscht, daran kann ich mich nicht erinnern», sagte der 58-Jährige. Dahlmeiers Bestmarken sind beeindruckend: Als Erste im Biathlon-Sport überhaupt gewann sie bei einer WM fünf Titel. Die nun siebenmalige Weltmeisterin schaffte mit Gold in der Verfolgung, im Einzel, Massenstart, der Damen- und Mixed-Staffel sowie Silber im Sprint als Erste in der Biathlon-Szene elf WM-Medaillen in Serie. Als erst dritte Biathletin holt sie bei einem Championat in allen sechs WM-Rennen eine Medaille.
«Es ist gigantisch. Mich von Rennen zu Rennen wieder aufs Neue zu konzentrieren, war vielleicht der Schlüssel zum Erfolg», sagte die Partenkirchnerin, die auf dem Weg zur erfolgreichsten Deutschen bei einer WM auch zwei Schwächanfälle nach dem Staffel- und Einzelsieg nicht stoppten. Am Sonntag ging bei der Frau in Gelb alles gut: «Ich für mich selber habe nicht gezweifelt, dass es möglich ist.»
«Wir müssen schon sagen, dass wir ohne Laura keine Einzelmedaille haben. Eine Doppelabsicherung wäre mir lieber, als nur auf die Laura setzen zu müssen», bekannte Hönig. Sein Männer-Kollege Mark Kirchner resümierte: «Was die Vier die letzten Jahre und hier gezeigt haben, das spricht Bände», sagte Kirchner. Aber: Hinter Schempp, Doll, Arnd Peiffer und Erik Lesser klafft eine große Lücke.
Die Weltcup-Gesamtführende Dahlmeier schickt sich derweil an, in naher Zukunft Magdalena Neuner (12 Titel) als Rekord-Weltmeisterin zu entthronen. «Was sie macht, ist außergewöhnlich. Laura ist die Königin der WM und vielleicht auch nächstes Jahr von Olympia», sagte Frankreichs Superstar Martin Fourcade. Fußball-Weltmeister Lukas Podolski twitterte: «Dahlmeier die neue Magdalena Neuner.»
Was macht Dahlmeier so stark? Ihre Komplexität, die nur wenige haben. Sie gewinnt in allen Disziplinen. Sie ist extrem laufstark, abgezockt beim Schießen, kann taktisch auf Situationen reagieren. Sie hat eine enorme mentale Stärke, geht über körperliche Grenzen wie bei ihren beiden Schwächeanfällen nach Staffel- und Einzelgold gesehen.
All das hat neben ihrem gegebenen Talent nicht zuletzt etwas mit Dahlmeiers Passion, dem Bergsteigen, zu tun. Bei ihren Touren in Nepal, den Alpen oder in Kalifornien muss sie auch cool sein und das Risiko kalkulieren, diese Fähigkeiten transportiert sie in den Biathlon-Sport. Aus dem Bergsteigen zieht sie ihre Kraft, ihre innere Balance, die sie braucht, um in der Loipe erfolgreich zu sein.
Und Dahlmeier jagt dem Erfolg nicht zwanghaft hinterher. Sie nimmt sich die Auszeiten und Freiheiten, die sie braucht, ob es anderen passt oder nicht. Und lässt man ihr diese, kann Dahlmeier über Jahre die Szenerie dominieren wie bei den Männern Fourcade.
Eine zweite Gold-Lena, die sich perfekt für die Massen vermarkten lässt, wird Dahlmeier wegen ihres fehlenden Glamour-Faktors nicht. Und sie will und braucht das auch nicht. Dazu ist ihr ihre Freiheit viel zu wichtig. «Jeden Schmarrn würde ich nicht machen. Sich komplett zu verkaufen und nur das Geld in den Augen blitzen zu sehen – das bin nicht ich», sagte Dahlmeier.
(dpa)