Lausanne – Die Vorbereitungen für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio und die Vergabe der Winterspiele 2026 – das sind zwei der großen Themen für IOC-Präsident Thomas Bach im kommenden Jahr.
Für den Winter gibt es nur die beiden Anwärter Mailand/Cortina d’Ampezzo und Stockholm. Der Franke, der am 29. Dezember seinen 65. Geburtstag feiert, beobachtet «ein allgemeines Misstrauen gegen große internationale Organisationen».
Frage: Alfons Hörmann, Ihr Nachfolger als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat zuletzt gesagt: Wenn die internationalen Sportverbände so geführt würden wie Dorfvereine, hätten wir einige Sorgen weniger. Hat er recht?
Thomas Bach: Bei allem Respekt vor meinem Nachfolger, aber hier muss man differenzieren. Er weiß aus seiner eigenen Erfahrung in einem internationalen Verband selbst am besten, dass es viele gut geführte internationale Verbände und viele gut geführte Dorfvereine gibt. Aber es gibt ein allgemeines Misstrauen gegen große internationale Organisationen. Dies beschränkt sich längst nicht nur auf den Sport, das gleiche haben Sie etwa im Bankenwesen, der Wirtschaft und in der Politik, insbesondere bei den Volksparteien.
Frage: Viele Menschen stehen aber gerade den Organisationen des Sports kritisch gegenüber.
Bach: Nein, es gibt ein Misstrauen gegenüber dem sogenannten Establishment schlechthin. Zugleich werden in der breiten Bevölkerung die Unterschiede zwischen den einzelnen Sportorganisationen und deren Verantwortlichkeiten meist nicht gemacht.
Frage: Werden Sie in diesem Winter nach Pyeongchang reisen?
Bach: Mir wird es terminlich leider nicht möglich sein, aber ein Vizepräsident des IOC wird mich bei den Ein-Jahres-Feierlichkeiten und dem damit verbundenen Kongress zum Thema Frieden und Sport vor Ort vertreten.
Frage: Aber es wäre doch interessant, was ein Jahr nach den Spielen dort aus dem Erbe der Winterspiele, die durchaus in der Kritik standen, geworden ist?
Bach: Das verfolgen wir selbstverständlich weiter. Das hängt nicht von einem Besuch ab. Ich war gerade vor zehn Tagen in Seoul mit den führenden koreanischen Politikern zusammen. Wir drängen darauf, dass die letzten erforderlichen Vereinbarungen zur Nachnutzung der Sportstätten zwischen der Zentral- und der Regionalregierung zum Abschluss kommen.
Frage: Bei den Winterspielen in Pyeongchang gab es eine gemeinsame koreanische Frauen-Eishockey-Nationalmannschaft, bei der Handball-WM spielen Männer aus Süd- und Nordkorea in einem Team. Das Leistungsgefälle ist aber ziemlich groß zwischen Athleten aus beiden Ländern. Tut man den Sportlern einen Gefallen, wenn man sie in einem Team zusammenführt?
Bach: Dies ist ein Punkt, den wir im Februar mit Vertretern der Regierungen und der Nationalen Olympischen Komitees aus beiden Koreas vor dem Hintergrund der Erfahrung von Pyeongchang besprechen werden. Wir legen großen Wert darauf, dass nicht nur die beiden jeweiligen Nationalverbände einverstanden sind, sondern dass auch die Athleten in die Gespräche eingebunden werden. In Pyeongchang war bei vielen Eishockeyspielerinnen und bei der Trainerin eine Abwehrreaktion zu sehen. Das lag daran, dass die Mannschaft im Vorfeld nicht ausreichend mitgenommen worden ist.
Frage: Es ist schwer vorstellbar, dass Sportler unter dem autoritären Regime Nordkoreas ein Mitspracherecht bekommen.
Bach: Man muss es dem jeweiligen NOK überlassen, wie die Einbindung organisiert wird. In der Regel ist es aber so, dass solche Projekte für die nordkoreanischen Athleten eine Chance sind, weil sie ansonsten gerade in den Teamsportarten keine qualifizierte Mannschaft hätten. Der Erklärungsbedarf liegt da eher auf südkoreanischer Seite.
Frage: Im Juni 2019 werden die Winterspiele 2026 vergeben. Die Bewerbungen von Stockholm und Mailand/Cortina d’Ampezzo sind wacklig. Wird es im Juni noch diese beiden Kandidaten geben?
Bach: Nun wollen wir das „wacklig“ mal nicht als sich selbst erfüllende Prophezeiung herbeireden. Es sind zwei Kandidaten aus zwei Traditionsländern des Wintersports, die in den letzten zehn Jahren jeweils sieben Weltmeisterschaften im Wintersport ausrichteten und die zu 80 Prozent vorhandene oder temporäre Sportstätten nutzen wollen, was eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den Kandidaten für die Winterspiele 2018 und 2022 ist. Das ist das, was wir uns gewünscht haben. Wir wollen mit den Spielen dieses Mal zurück zu den Wurzeln. Ich bin sicher, dass wir 2026 einen hervorragenden Gastgeber für Olympische Winterspiele haben werden.
Frage: Gibt es einen Plan B, falls die beiden Kandidaten nicht zur Verfügung stehen?
Bach: Ein solcher Plan wäre ein Beitrag zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung, und den wollen wir wirklich nicht leisten. Wir sehen, dass wir zwei Kandidaten haben. Das ist für jetzige Zeiten das Normalmaß, wenn sie auf die Anzahl von Kandidaten für andere Großereignisse schauen.
Frage: Woran liegt das?
Bach: Die Vergabe von Winterspielen ist eine zusätzliche Herausforderung. Das Thema Klimaerwärmung spielt eine Rolle. Eine ganze Reihe von Kandidaten scheiden aus, weil in niedrigeren Lagen keine Schneesicherheit mehr gegeben ist. Zum anderen gibt es die Tendenz, dass wegen des Klimawandels einige Wintersport-Destinationen die Investitionen umstellen, das heißt: keine weiteren Investitionen in den Wintersport. Stattdessen konzentrieren sich diese Orte auf Sommersport oder andere Formen des Tourismus.
Frage: Und der andere Grund?
Bach: Der andere Grund ist die veränderte politische Entscheidungsfindung, der wir alle ausgesetzt sind. In der gegenwärtigen, sehr unsicheren Lage in der Welt ist es sehr schwierig, Menschen von langfristigen Investitionen zu überzeugen. Diese Unsicherheit über die politische und wirtschaftliche Zukunft ist gepaart mit einer Misstrauenskultur, die sich gegen viele Projekte des sogenannten Establishments, wie beispielsweise Flughäfen oder Straßen- und Eisenbahnprojekte, richtet.
Frage: Diese Misstrauenskultur ist in Bezug auf Olympia gespeist von einem Bild, das man von den Winterspielen in Sotschi und Pyeongchang hat und von dem, was man sich unter den kommenden Winterspielen in Peking vorstellt. Stichwort Gigantismus.
Bach: In einer sehr emotionalen Atmosphäre ist es sehr schwer, Unterschiede und Begründungen komplexer Art zu vermitteln. In Sotschi wollte Russland, das eine große Wintersportnation ist und nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion keine Wintersport-Infrastruktur mehr hatte, ein neues Wintersportzentrum errichten. Das war der Beweggrund für die Bewerbung. Deshalb handelt es sich hier auch nicht um Kosten für Olympische Spiele, sondern um Investitionen, die sich langfristig auszahlen und neue Einnahmen zur Folge haben. Ich glaube, man kann dem flächenmäßig größten Land der Erde nicht verweigern, eine eigene Wintersport-Destination aufzubauen.
Frage: Und Peking?
Bach: China wird ein sehr starkes Beispiel für die Nutzung des Erbes von Spielen sein, weil die Eissportarten in Anlagen stattfinden, die für die Sommerspiele 2008 gebaut worden sind. Darüber hinaus möchte China als das bevölkerungsreichste Land der Erde, mit diesen Spielen 300 Millionen Chinesen mit dem Wintersport vertraut machen. Man kann China nicht sagen: Wie könnt ihr ein Wintersportzentrum bauen, wo wir doch in Europa so schöne haben!
Frage: Muss das in einer sehr niederschlagsarmen Region passieren?
Bach: Hier sind die Fachleute gefragt, die das ausgewertet haben und uns versichern, dass diese Erschließung unter Wahrung hoher Umweltstandards geschieht.
Frage: Nicht nur die Vergabe von Winterspielen erscheint problematisch. Die Sommerspiele 2024 und 2028 wurden in einem beispiellosen Verfahren an Paris und Los Angeles vergeben, es gab keine weiteren Kandidaten.
Bach: Wir haben einen hervorragenden Gastgeber für die Spiele 2024 und jetzt schon auch für 2028 – das zählt. Darüber hinaus haben wir bereits jetzt eine ganze Reihe von interessierten Nationalen Olympischen Komitees, die eine Bewerbung für die Winterspiele 2030 und für die Sommerspiele 2032 vorantreiben.
Frage: Das Interesse liegt bei Olympischen Komitees, bei Städten und Staaten, zumindest in der westlichen Welt ist den Bürgern die Botschaft Olympischer Spiele aber offensichtlich nicht zu vermitteln.
Bach: Die Herausforderungen veränderter politischer Entscheidungsfindungen sehen wir in einer Reihe von Ländern. Dadurch wird es schwerer, wie bereits erläutert, große Infrastruktur-Projekte zu vermitteln. Diese Misstrauensstimmung haben wir zuletzt in Calgary gesehen. Der führende Vertreter der Bewegung, die die Winterspiele abgelehnt hat, sagte: Wir haben genug davon, dass das Establishment uns sagt, was wir machen sollen. In seiner Analyse ist das Wort Olympia nicht einmal vorgekommen.
Frage: Wie begegnet das IOC diesem Stimmungsbild?
Bach: Wir müssen klar zeigen, dass wir mit unseren Reformen eine neue Seite aufgeschlagen haben: mit nachhaltigeren Spielen, mit der Nutzung existierender Sportanlagen, mit heruntergefahrenen Kapazitäten und mit der Möglichkeit, ganze Regionen und nicht nur eine Stadt anzusprechen. Bei den Entscheidungsträgern ist das angekommen. Der nächste Schritt wird sein, dies der Bevölkerung zu vermitteln. Diese Aufgabe müssen die Entscheidungsträger in den jeweiligen Ländern übernehmen.
Frage: Sind Referenden das richtige Mittel im Zuge einer Olympia-Bewerbung? Für die Fußball-Europameisterschaft gab es auch keine Volksbefragung.
Bach: Diese Frage muss man den jeweiligen Ländern überlassen. Für uns ist die Zustimmung der Bevölkerung ein wichtiges Kriterium. Wir wollen die Athleten nur dorthin schicken, wo sie willkommen sind. Wie ein Bewerber diese Unterstützung darstellt, hängt von seiner Kultur und den politischen Umständen ab.
Frage: Welche Interessenten für den Winter 2030 und den Sommer 2032 – neben der Rhein-Ruhr-Region – gibt es?
Bach: Wir haben die Kandidaturphase für diese beiden Spiele noch gar nicht gestartet, dennoch haben für 2030 bereits Japan mit Sapporo, die USA, Argentinien, Spanien und Georgien Kontakt mit uns aufgenommen. Für 2032 gilt das insbesondere für Nord- und Südkorea, Indonesien, Australien mit Gold Coast und auch die Rhein-Ruhr-Region in Deutschland.
ZUR PERSON: Thomas Bach feiert am 29. Dezember seinen 65. Geburtstag. Der Jurist aus Tauberbischofsheim ist seit dem 10. September 2013 Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, seine Amtszeit dauert bis 2021. Als Florettfechter gewann er mit der deutschen Mannschaft 1976 in Montreal olympisches Gold.
(dpa)