Armin Hary: Nach über 50 Jahren noch viel Autogrammpost

Berlin – Zürich, Letzigrund, 21. Juni 1960, 20.20 Uhr: Mit 45 schnellen Schritten – der längste ist 2,29 Meter lang – schreibt Armin Hary Leichtathletik-Geschichte. Seinen 100-Meter-Weltrekord veredelt der «blonde Blitz» im Sommer in Rom mit zwei olympischen Goldmedaillen.

Im dpa-Interview verrät Hary auch, dass er immer noch viel Autogrammpost aus aller Welt bekommt und ihn die Leichtathletik schon lange nicht mehr fasziniert: «Es prickelt nicht mehr.»

Am Mittwoch feiern Sie runden Geburtstag. Was bedeutet die Zahl «80» für Sie? Blicken Sie gern zurück?

Armin Hary: Ich denke nicht über die Vergangenheit nach, sondern ich lebe in der Gegenwart – und hoffe auf die Zukunft. Es gibt 80-Jährige, denen geht es schlechter als mir.

Schon mit 24 Jahren war Ihre aktive Karriere beendet. Aber Sie haben sich immer fit gehalten. Treiben Sie heute noch Sport?

Hary: Ich bewege mich eigentlich den ganzen Tag. Aber wenn man dann merkt, dass die Drives beim Golf immer kürzer werden und dann alles weh tut, dann wird es schwieriger. Ich fahre jetzt intensiv Rad, was ich 100 Jahre nicht gemacht habe. Aus Vernunftsgründen habe ich mir ein E-Bike zugelegt, fahre am Abend gern mal 30 oder 40 Kilometer, auch den Berg rauf. Absteigen gibt’s bei mir nicht.

Die Leichtathletik von heute – fasziniert Sie dieser Sport immer noch?

Hary: Das ist nicht mehr mein Ding, weil ich keine Typen mehr sehe. Es prickelt nicht mehr. Vor allem die Laufdisziplinen in Deutschland, das ist doch ein Trauerspiel. Diese Einstellung ‚Dabei sein ist alles‘ – die ist ja schon falsch. Alles? Alles kann ja höchstens eine Goldmedaille sein. Mann gegen Mann, darum geht es. Siege will ich sehen! Da fahren die da hin, scheiden im Vorlauf aus – und fahren dann wieder nach Hause.

Sie waren der erste Mensch auf der Welt, der die 100 Meter in 10 Sekunden gesprintet ist. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich an jenen 21. Juni 1960 erinnern?

Hary: Keine Gefühle. Also, sentimental werde ich nicht. Aber später, bei Olympia 1960 in Rom, das war schon kurios: Ich bin da mit zwei Paar Schuhen von zwei verschiedenen Firmen angetreten. Mit Puma bin ich gelaufen, und bei der Siegerehrung hatte ich Adidas an.

Und deshalb hat es dann ja auch Ärger gegeben?

Hary: Genau. Mit den Chefs beider Firmen war ich gut bekannt. Es gab damals ja keine Sponsoren, kein Geld. Schuhe hätte ich hundert Paar kriegen können, aber ich habe nur ein Paar gebraucht. Und in Rom wollte ich dann beiden einen Gefallen tun, das war eine Bauchentscheidung – und daraus hat man mir dann einen Strick gedreht. Dabei habe ich gesagt: Auf dem Treppchen bei der Siegerehrung werden genau so viele Bilder gemacht wie Fotos beim Zieleinlauf. Das ging dann so weit, dass es Artikel gab, darin wurde behauptet: Der ist mit einem Adidas-Schuh gelaufen und mit einem Puma-Schuh.

Zwei Weltrekorde über 100 Meter innerhalb einer halben Stunde – und der eine galt dann auch. Haben Sie damals überhaupt realisiert, dass Sie ein Stück Leichtathletik-Geschichte geschrieben haben?

Hary: Sicherlich. Aber weil ich immer der böse Bube war, ist das nicht so richtig zur Geltung gekommen. Bei den Fans, da hatte ich immer einen Stein im Brett, aber die Funktionäre, das war immer ein rotes Tuch. Das war auch der Grund dafür, dass ich 1959 nach Amerika gegangen bin, nach Santa Barbara in Kalifornien. Dort hat man mir nach einem Monat die amerikanische Staatsbürgerschaft angeboten.

Sie mögen ja keinen Rummel um Ihre Person. Kennt man den einst berühmten Armin Hary heute eigentlich noch?

Hary: Ich bekomme seit über 50 Jahren, vom Tag meines Olympiasiegs an, jede Woche zwischen fünf und zehn Autogrammwünsche. Bis zum heutigen Tag. Ohne Unterbrechung. Aus der ganzen Welt, auch aus Neuseeland. Wenn ich meine Frau Tina nicht hätte, wäre ich schon erstickt in dieser Post. Ich muss nur einmal in der Woche eine Stunde lang unterschreiben.

Und was macht Ihre Stiftung für bedürftige Kinder, denen Sie das Sporttreiben ermöglichen wollen?

Hary: Ich mach‘ das jetzt seit 2006. Das ist nach wie vor ein Vollzeit-Job. Aber ich war schon oft drauf und dran, aufzugeben. Weil die Erfolge doch nicht so sind, dass ich die Kinder unterstützen kann, wie ich das eigentlich vorhatte. Ich bin jahrelang hunderttausend Kilometer im Jahr gefahren, die Türen standen mir überall offen – aber dann gab es oft nur leere Versprechungen. Wir haben immer noch zweieinhalb Millionen arme Kinder in Deutschland. Und stellen Sie sich vor: Ein paar Eishockey-Schuhe, die kosten heute 400 Euro. Die kann sich doch keiner leisten.

Wenn Sie am Mittwoch 80 werden, gibt es dann bei Harys wieder ein Haus der offenen Tür?

Hary: Natürlich. Alle, die kommen, sind herzlich eingeladen. Und die nicht kommen, die sind auch eingeladen (lacht). Das klingt jetzt vielleicht überheblich: Aber das ist ein Tag wie jeder andere für mich. Viele gute Freunde kommen leider nicht mehr, die sind mir alle weggestorben. Das ist eine Katastrophe. Aber eins sag ich Ihnen: Wenn Sie im ganzen Leben nur fünf wirkliche Freunde haben, dann waren Sie sehr reich. Und meine Träume habe ich mir alle erfüllt.

ZUR PERSON: Armin Hary war einer der bekanntesten Leichtathleten Deutschlands. Der Sohn eines Bergmanns wurde am 22. März 1937 im saarländischen Quierschied geboren. Zweimal wurde der Sprinter Europameister (1958) und holte in Rom zweimal Olympia-Gold (1960). Berühmt wurde er als erster Mensch, der die 100 Meter in 10 Sekunden rannte. Hary hat zwei Kinder und lebt mit seiner Frau im bayerischen Adlhausen bei Landshut.


(dpa)

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