München – Etwa vier rassistische Vorfälle pro Monat zählt Alon Meyer bei Spielen des jüdischen Sportverbandes Makkabi in Deutschland.
Der Verbandspräsident berichtet von Beschimpfungen als «Drecksjude» oder Sprüchen wie «man gehöre vergast». Die Vorfälle und Beleidigungen seien nicht ungewöhnlich und zeigen, dass Antisemitismus in manchen Teilen der Fußballkultur in Deutschland bis heute verankert sind.
40 Ortsvereine unterschiedlicher Sportarten mit rund 4500 Mitgliedern gehören zu Makkabi. Nur etwa die Hälfte der Spieler ist jüdisch. «Wir sind multikulturell», sagt Meyer. Doch das interessiert rechtsradikale Fußballfans in der Regel nicht. Sie benutzen das Wort «Jude» als Schimpfwort – nicht nur bei Makkabi-Spielen.
Dass zuletzt deutsche Fans beim Länderspiel der Nationalmannschaft in Prag Nazi-Parolen durchs Stadion grölten, war für den Fanforscher Robert Claus keine Überraschung. «Bei Länderspielen haben antisemitische Vorfälle eine lange Tradition, sagt er. «Rechte Hooligans sehen das als nationale Machtdemonstration.»
Auch hierzulande ist das Problem von der Bundes- bis zur Regionalliga nicht verschwunden. «In den Bundesliga-Stadien wurde der Rassismus zwar stark zurückgedrängt», sagt Florian Schubert, Mitglied im «Bündnis aktiver Fußballfans». Der Politologe und Sportwissenschaftler hat aber beobachtet, dass es ihn in Fan-Kreisen mancher Vereinen nach wie vor gibt und er insbesondere auf den An- und Abfahrtswegen zum Stadion ausgelebt wird.
Jeder Anhänger kenne etwa das «U-Bahn-Lied», in dem Fans der gegnerischen Mannschaften mit einer U-Bahnfahrt nach Auschwitz gedroht wird. «Das hat in den letzten Jahren tendenziell sogar wieder zugenommen, dass gerade auf Auswärtsspielen im Zug dieses Lied gesungen wird», sagt Schubert.
Er erzählt von seiner jüngsten Erfahrung im April beim Spiel des SV Babelsberg gegen Energie Cottbus. «Mindestens 150 Cottbus-Fans versuchten vermummt das Spielfeld zu stürmen, einigen gelang es. Zweimal liefen sie während des Spiels zur gegnerischen Kurve, haben den Hitlergruß gezeigt, «Arbeit macht frei, Babelsberg 03» und Ähnliches gesungen», erzählt Schubert der Deutschen Presse-Agentur.
Die Babelsberger Anhänger antworteten mit «Nazischweine-raus»-Rufen. Fans beider Vereine zündeten Pyrotechnik, das Spiel wurde zweimal unterbrochen. Cottbus musste 6000 Euro zahlen, für Potsdam fiel die Strafe mit 7000 Euro höher aus – was für Irritationen sorgte. Babelsbergs Präsident Archibald Horlitz sprach von einem «Skandalurteil» und kündigte den Gang vor ein Zivilgericht an. In einem offenen Brief an DFB-Präsident Reinhard Grindel forderte er, dass der Deutsche Fußball-Bund seine gesellschaftspolitische Verantwortung übernehmen und den Streit klären soll.
Nicht nur in Cottbus sind rechtsradikale Fans dokumentiert, sondern unter anderen auch bei Alemannia Aachen, 1860 München, Eintracht Braunschweig und Bundesliga-Tabellenführer Borussia Dortmund. Doch gibt es auch ehrenamtliche antirassistische Faninitiativen, die sich wehren. In Cottbus und Aachen mussten sich diese laut Politologe Schubert vorübergehend auflösen, weil sie von rechtsextremen Hooligans bedroht wurden.
Das Bundesinnenministerium resümierte 2016 in einem Expertenbericht, dass sich antisemitische Vorurteile im Fußball meist direkter und brutaler offenbaren als in anderen gesellschaftlichen Milieus. Das liegt nach der Auffassung von Fanforscher Claus zum einen daran, dass es im Fußball ein klares Feindbild gebe, ein «Wir gegen die Anderen»-Gefühl, das den Gegner abwertet. «Gleichzeitig ist der Fußball emotional sehr aufgeladen», sagt er. «Und es gibt diese anonyme Massendynamik, in der man sich gut verstecken kann.»
Der DFB mache einiges dagegen, meint Claus. «Er finanziert soziale Arbeit mit Fans, verleiht Preise für Engagement gegen Diskriminierung und veranstaltet eigene Fachtage.» Vor dem WM-Qualifikationsspiel der deutschen Mannschaft gegen Nordirland am Donnerstag in Belfast kündigte Grindel schärfere Zugangsbestimmungen in europäischen Fußball-Stadien an, um künftige Eklats zu vermeiden.
«Die große Herausforderung im föderalen System des DFB besteht aber darin, alle Gremien, Landesverbände, Teams, Ligen und Spieler zu erreichen», sagt Claus. «Hier bleibt viel zu tun.»
«Es muss eine stärkere Sensibilität entstehen», fordert auch Alon Meyer vom Makkabi. Trainer und Betreuer seien in der Pflicht, auf ihre Spieler zuzugehen. Bei Platzansprachen müssten sie den Spielern klarmachen, dass unsportliches Verhalten nicht toleriert wird. Die üblichen Strafenkataloge der Mannschaften könnten außerdem nicht nur Zuspätkommen, sondern auch rassistische Beleidigungen sanktionieren.
Die Vereine sollten das Problem nicht einfach ignorieren, sagt auch Schubert. «Es gibt immer noch zu viele Vereine, die sich bei Antisemitismus oder anderen diskriminierenden Vorfällen wegducken, es nicht wahrhaben wollen», sagt er. «Würden sie sich dem Problem stellen, könnte man anfangen, zu handeln.»
(dpa)