Hockenheimring – Sebastian Vettel hämmerte mit beiden Fäusten wie wild auf sein Lenkrad und musste anschließend im Unwetter über dem Hockenheimring auch noch die ausgelassene Freude seines WM-Widersachers Lewis Hamilton ertragen.
«Kleiner Fehler, große Enttäuschung», gab der geschlagene Lokalmatador nach dem erneut verpassten ersten Heimsieg auf dem Hockenheimring zu. «Es ärgert mich extrem, dass es hier war, weil wir auch das Rennen in der Tasche gehabt hätten», sagte Vettel. Nach einem Fahrfehler krachte er in Führung liegend 15 Runden vor Schluss vor den entsetzten Gesichtern der Zuschauer mit seinem Ferrari in die Streckenbegrenzung.
Großer Profiteur auch dank einer famosen Aufholjagd war ausgerechnet sein Formel-1-Erzrivale Hamilton. Vor zwei Wochen hatte Vettel den Briten bei dessen Heimrennen geschlagen, nun zahlte es der 33-Jährige seinem zwei Jahre jüngeren deutschen WM-Widersacher im Duell der viermaligen Titelträger heim. Hamilton, der auch schon vor zwei Jahren auf dem Hockenheimring gewonnen hatte, übernahm zudem die WM-Führung mit 17 Punkten Vorsprung. «So ein Rennen bin ich noch nie gefahren», sagte Hamilton. Es sei einer der unglaublichsten Tage, die er erlebt habe.
Doch mit der Hochspannung war es noch lange nicht vorbei. Hamilton wurde am Abend zu den Rennkommissaren zitiert. Er hatte in der entscheidenden Safety-Car-Phase regelwidrig die Grenze zwischen Boxengassen-Einfahrt und Rennstrecke überfahren. Knapp drei Stunden nach Rennende kam das Aufatmen: Nur eine Verwarnung, schon bei einer Fünf-Sekunden-Zeitstrafe wäre er seinen Sieg los gewesen.
Hamilton war zu diesem rennentscheidenden Zeitpunkt schon auf dem Weg zum Reifenwechsel, entschied sich letztlich aber dagegen. Ihm drohte eine mögliche Zeitstrafe. Sein Vorsprung nach der Zieldurchfahrt lag bei 4,5 Sekunden auf Bottas und bei 6,7 Sekunden auf Räikkönen.
«Es ist natürlich sehr, sehr schwer von dieser Position und höchst unwahrscheinlich, ich habe aber daran geglaubt», betonte Hamilton nach seinem Sieg. Er habe wie immer vor dem Rennen gebetet, berichtete der Brite, der rund 24 Stunden zuvor noch fassungslos an seinem Mercedes gekniet hatte, nachdem er wegen eines Hydraulik-Defekts die Qualifikation vorzeitig beenden und beim Rennen von Platz 14 starten musste. Seine Gebete seien erhört worden, betonte Hamilton und deutete Blitz und Donner nach seinem denkwürdigen Auftritt als «biblisches Unwetter». «Wunder geschehen», kommentierte die Silberpfeil-Box den 66. Sieg ihres Star-Piloten.
Vettel verpasste es dagegen schon wieder. Platz drei 2010, als der Hesse in Hockenheim ebenfalls von Pole gestartet war, bleibt sein bestes Resultat. Den einzigen Formel-1-Sieg in Deutschland feierte er 2013 auf dem Nürburgring beim letzten Rennen dort. Stand jetzt war der zunächst ereignislose, am Ende aber hoch dramatische und mitreißende Grand Prix am Sonntag auf dem Hockenheimring der letzte. Immerhin rettete sich Nico Hülkenberg mit einer starken Fahrt in seinem Renault auf den fünften Platz.
Den Mercedes-Doppelerfolg machte Valtteri Bottas auf Rang zwei perfekt, Dritter wurde Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari. Die Scuderia musste damit nicht nur die Vettel-Führung im Fahrer-Klassement abgeben, sondern auch in der Konstrukteurswertung. Dort hat Ferrari acht Punkte Rückstand auf die Silberpfeile, deren Oberboss, Daimler-Chef Dieter Zetsche, die volle Schampus-Dusche von Hamilton abbekam.
Vettel blieb nur der Trost von Teamchef Maurizio Arrivabene, als er ihn in Teamkleidung noch während des Rennens am Kommandostand abklatschte. Eine Stunde nach dem Rennen hatte er die Strecke bereits verlassen. Dieser Tiefschlag wird ihn erstmal beschäftigen, auch wenn er versicherte: «Ich werde heute Abend keine Schlafprobleme haben.»
Doch binnen 24 Stunden wurde der Heimatausflug zum brutalen Gefühlsabsturz. Pole am Samstag, glückliche Gesichter und Hamilton weit hinten: Die ideale Ausgangsposition fürs 77. Rennen der Motorsport-Königsklasse in Deutschland. Vettel konnte die fünfte Pole der Saison und die 55. seiner Karriere auch verteidigen und fuhr lange dem Sieg recht sicher entgegen. Als er mal hinter Räikkönen festhing und klagte, orderte das Team mit ein wenig Verspätung an, dass der Finne die Ferrari-Nummer-Eins nicht aufhalten soll.
Alles schien zum Wohle Vettels zu laufen. Auch wenn Hamilton zwei Wochen nach seiner Aufholjagd in Silverstone, wo ihn ein Rempler nach dem Start von Räikkönen weit zurückgeworfen hatte, erneut durch das Feld pflügte. «Wie immer werde ich so fahren, als ob mein Leben davon abhinge», hatte er vor dem Start gesagt.
Für maximale Spannung in der Schlussphase sorgte einsetzender Regen. An Vettels Ferrari flog zudem ein Teil des Frontflügels ab. Es wurde hektisch, sehr hektisch. Hamilton sollte an die Box, dann doch nicht. Die Strecke war an manchen Stellen nass, kein Vergnügen auf Slicks.
Ein kleiner Fehler reichte, und Vettel war raus. «Es war relativ unspektakulär, die Fahrbahn war sehr rutschig, ich habe ein kleines bisschen zu spät gebremst, die Hinterräder haben blockiert», erklärte Vettel. «Ich habe schon schlimmere Fehler gemacht, es ist aber natürlich bitter.» Das Gute: Schon am kommenden Sonntag in Budapest kann es wieder besser machen.
(dpa)