Hannover – Noch Minuten nach dem Schlusspfiff standen die Spieler von Hannover 96 vor dem Fanblock und wurden gefeiert. Abstieg mit Applaus – das hat es in der Fußball-Bundesliga schon lange nicht mehr gegeben.
Trotz eines 3:0 (1:0)-Siegs gegen den SC Freiburg kann sich der Tabellen-17. am letzten Spieltag nicht mehr auf den Relegationsplatz retten, da der Hauptkonkurrent VfB Stuttgart mit dem gleichen Ergebnis gegen den VfL Wolfsburg gewann. Sechs Punkte Rückstand sind in nur einem Spiel selbst dann nicht mehr aufzuholen, wenn man so offensiv und leidenschaftlich spielt wie Hannover an diesem Nachmittag.
«Das ist ein bitterer Moment in der Karriere jedes einzelnen», sagte Trainer Thomas Doll. «Aber wir sind nicht heute abgestiegen. Man kann nicht immer auf andere hoffen. Die Jungs sind nach dem Leverkusen-Spiel im März zusammengewachsen und haben gezeigt, dass sie Fußball spielen können. Aber am Ende brauchst du Punkte.»
Das letzte Heimspiel der Saison war das mit Abstand beste. Um weiter eine Hoffnung auf den Klassenerhalt zu haben, kamen die Tore von Waldemar Anton (39.), Ihlas Bebou (51.) und Walace (81.) aber zu spät. Der starke Auftritt vor 38.100 Zuschauern ließ lediglich erahnen, was für 96 in dieser Saison möglich gewesen wäre, wenn der offensiv herausragende Bebou bis zu diesem Spiel nicht sechs Monate wegen einer Oberschenkelverletzung ausgefallen wäre oder eine Identitätsfigur wie Edgar Prib nicht fast zwei Jahre lang wegen zwei Kreuzbandrissen nacheinander gefehlt hätte.
So aber kam für die Niedersachsen «alles zusammen», wie Torwart Michael Esser nach dem Spiel analysierte. Der Ausfall wichtiger Leistungsträger. Die völlig missglückte Transferpolitik des ehemaligen Managers Horst Heldt und des ehemaligen Trainers André Breitenreiter. Eine Negativserie von elf Niederlagen in den ersten zwölf Rückrunden-Spielen. «Im Endeffekt sind wir in dieser Saison zu spät wach geworden», sagte Esser. «Unter dem Strich war es auch eine Qualitätsfrage. Das ist ein extrem beschissenes Gefühl.»
Wie es nach dem sechsten Bundesliga-Abstieg nach 1974, 1976, 1986, 1989 und 2016 in Hannover weitergeht, ist völlig offen. Der Hauptgesellschaft Martin Kind hat ein kompletten Neuanfang auf allen Ebenen angekündigt. Ein neuer Sportdirektor, neue Spieler und eine Antwort auf die offene Trainerfrage hat er aber bislang noch nicht präsentieren können. Thomas Doll ist vertraglich noch bis 2020 an den Verein gebunden und könnte sich einen Verbleib in der Zweiten Liga gut vorstellen («Ich habe gemerkt, dass mir die Arbeit trotz der vielen Niederlagen Spaß macht.»). Dass er aber tatsächlich weitermachen darf, ist unwahrscheinlich und soll nach dem letzten Spiel in Düsseldorf in einem Gespräch mit Kind geklärt werden.
Gemessen an der desaströsen Saison und den vielen offenen Fragen beim Blick in die Zukunft fiel der Abschied von den eigenen Fans bemerkenswert versöhnlich aus. Der genauso wie Bebou zum ersten Mal seit Monaten wieder zum Einsatz gekommene Niclas Füllkrug wurde bei seiner Einwechselung in der 86. Minute zwar ausgepfiffen, weil er im Sommer zu Werder Bremen wechseln wird. Ansonsten aber wurde das komplette Team nach dem Spiel in der Fankurve lautstark besungen und abgeklatscht. «Das war ein Gänsehautmoment», sagte Kapitän Marvin Bakalorz. «Das hätte in so einem Moment viel schlimmer sein können.»
(dpa)