Inzell – Diese eine Nacht hat das Leben von Claudia Pechstein auf den Kopf gestellt.
In den späten Abendstunden des 7. Februar 2009 war die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin bei der Allround-WM in Hamar wegen auffälliger Blutwerte aus dem Rennen genommen worden. Zum Auftakt der Eisschnelllauf-Weltmeisterschaften in Inzell jährt sich am Donnerstag (7. Februar) zum zehnten Mal der schwärzeste Tag ihrer Karriere.
«Ich kann mich noch an jedes Detail erinnern. Wie unser Teamleiter Helge Jasch mich in sein Zimmer rief. Wie er und unser Teamarzt Dr. Gerald Lutz mir mitteilten, dass mit meinen Blutwerten etwas nicht stimmt. Und ich zum ersten Mal das Wort Retikulozyten hörte», sagte Pechstein im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
«Mein ganzer Körper begann zu zittern und ich bekam vor lauter Schluchzen kaum noch ein Wort heraus. Es ist die Nacht, die meine Karriere, ja mein ganzes Leben letztlich komplett verändert hat», schilderte Pechstein: «Rückblickend ist nichts mehr, wie es mal war, außer, dass ich noch immer als Eisschnellläuferin aktiv bin.»
Was auf jene Nacht folgte, war eine Zwei-Jahres-Sperre für die fünfmalige Olympiasiegerin durch die Internationale Eislauf-Union ISU ohne Doping-Beweis. Dadurch verpasste die heute 46 Jahre alte Berlinerin die Winterspiele 2010 in Vancouver und die Einzelstrecken-
WM im Jahr zuvor an gleicher Stelle. Seit der Sperre kämpft Pechstein vor allen juristischen Instanzen gegen die Entscheidung des Verbandes. Längst haben Mediziner inzwischen eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Grund für ihre Werte festgestellt.
Neben riesigen finanziellen Einbußen – sie klagt auf über vier Millionen Euro Schadenersatz – hatte Pechstein im März 2009 sogar Suizid-Gedanken, wie sie in ihrer Autobiografie «Von Gold und Blut – Mein Leben zwischen Olymp und Hölle» bekannte. Aus Verzweiflung hatte sie daran gedacht, von einer Autobahnbrücke zu springen.
Mit dem Abstand von zehn Jahren hat Pechstein aber auch Konsequenzen aus dieser Nacht im Februar 2009 gezogen. «Rückblickend wäre es sicher besser gewesen, von Beginn an die Öffentlichkeit einzuweihen. Die ISU hat gelogen und schmutzige Deals angeboten». Der Verband hatte ihr vorgeschlagen, die auffälligen Werte unter den Tisch zu kehren, wenn sie ihre Karriere beende. «Alles unter dem Vorwand, so würde mein Name öffentlich nicht mit Doping in Verbindung gebracht. Ich war so naiv, das zu glauben. Bis zu dem Tag, als man mich sperrte. Ohne Beweis. Unschuldig öffentlich an den Pranger gestellt zu werden, war die schlimmste Erfahrung meines Lebens», sagte sie.
Der schlimmste Moment in den zurückliegenden zehn Jahren ihres juristischen Kampfes war für sie die Urteilsverkündung vor dem Bundesgerichtshof im Juni 2016. «Als mir die Präsidentin ins Gesicht gesagt hat, dass ich in Deutschland, meinem Heimatland, keinen Rechtsanspruch mehr in Anspruch nehmen dürfe, weil ich den in der Schweiz vor einem in meinen Augen korrupten, nicht auf rechtsstaatlichen Grundsätzen beruhenden Sportverbandsgericht bereits genossen hätte», schilderte Pechstein.
«Den Prozessmarathon habe ich mir nicht ausgesucht. Mir wäre es auch lieber, mein Fall wäre schon längst vor einem ordentlichen Gericht verhandelt worden. Dann wäre ich mit Sicherheit nicht nur moralisch rehabilitiert, sondern auch juristisch», sagte Pechstein. «Aber bislang gab es immer irgendwelche formellen Gründe, die es mir unmöglich machten, die ISU für die Unrechtssperre verantwortlich zu machen. Und so ziehe ich weiter und weiter, bis endlich die Gerechtigkeit siegt», kündigte sie an.
(dpa)