Corona hat das Arbeitsleben verändert: Zahlreiche Unternehmen stehen vor dem Aus oder schicken ihre Beschäftigten in Kurzarbeit. Eine Situation, die für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer spürbare Folgen hat. Gesetzliche Anpassungen, die der aktuellen Situation gerecht werden sollen, sind in Vorbereitung. Bis dies soweit ist, sind die Beschäftigten Ihres Unternehmens mehr denn je auf Ihre Unterstützung angewiesen: Was darf der Arbeitgeber anordnen? Und wie schöpfen Sie Ihre Einflussmöglichkeiten als Betriebsrat maximal aus?
Bei welchen coronabedingten Maßnahmen ist der Betriebsrat einzubeziehen?
Die vergangenen Monate haben gezeigt: Im Corona-Kontext ergeben sich kurzfristige Entwicklungen von direkter Relevanz für die Beschäftigten. Aktuell muss jeder Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht fortlaufend prüfen, ob er zusätzliche (Schutz-)Maßnahmen treffen muss. Zu den Entscheidungen, bei denen der Arbeitgeber den Betriebsrat im Vorfeld einzubeziehen hat, zählen:
- Anordnungen zum Hygieneverhalten gem. § 87 Abs. 1 Nr.1 BetrVG
- Anordnung von Betriebsferien anstelle einer Betriebsschließung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG
- vorübergehende Anordnung von Überstunden gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
- vorübergehende Verkürzung der Arbeitszeit (Kurzarbeit) gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
Warum müssen Sie als Betriebsrat für Arbeitnehmer aktiv werden?
Im Betriebsverfassungsrecht ist Ihr Recht auf Mitbestimmung direkt mit einem erzwingbaren Initiativrecht verknüpft. Ein Beispiel: Weil die Aufträge coronabedingt zurückgehen, möchte Ihr Arbeitgeber Mitarbeiter entlassen. Als Betriebsrat kann von Ihnen erwartet werden, dass Sie an den Arbeitgeber herantreten, damit dieser auf die Entlassung verzichtet – und stattdessen einen Teil der Arbeitnehmer in Kurzarbeit schickt. Meldet der Arbeitgeber bei der Agentur für Arbeit Kurzarbeit an, muss er eine Stellungnahme des Betriebsrates beifügen. Ihre Initiative bleibt erfolglos? Dann rufen Sie im nächsten Schritt die Einigungsstelle an.
Was, wenn der Arbeitgeber Betriebsurlaub anordnen will?
Apropos Kurzarbeit: Kein Chef darf Mitarbeiter in Eigenregie in Kurzarbeit schicken – sie müssen in diese nachweisbar eingewilligt haben. Und entscheidet sich der Arbeitgeber für die Variante Betriebsurlaub, müssen Arbeitnehmer dafür keinen Urlaubstag opfern. Prinzipiell können Arbeitgeber maximal drei Fünftel vom Jahresurlaub für Betriebsferien reservieren. Zeiträume, die jedoch auf die Urlaubsjahresplanung abstellen – und daher dem Mitbestimmungsrecht nach Paragraf 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG unterliegen. Werden coronabedingt umgehend Betriebsferien angeordnet, liegt der Verdacht nahe, dass das Unternehmen sein Betriebsrisiko auf die Mitarbeiter abwälzen möchte.
Hat ein Arbeitnehmer ein Recht auf Homeoffice?
Ein Mitarbeiter möchte ins Homeoffice wechseln? Prinzipiell nur mit Zustimmung des Arbeitgebers. Doch als Betriebsrat haben Sie ein Mitspracherecht. Kein Arbeitgeber darf den Wechsel ins Homeoffice einseitig anordnen, sondern braucht dazu die Zustimmung des Betriebsrats. Anders, wenn ein Mitarbeiter aufgrund fehlender Kinderbetreuung zuhause bleiben möchte: Dann muss der Arbeitgeber der Option Homeoffice nicht zustimmen, sondern kann verlangen, dass der Mitarbeiter Urlaubstage nimmt oder Überstunden abbaut. Ist das Kind dagegen (z. B. an Corona) erkrankt, haben Eltern gem. § 45 SGB V Anspruch auf Krankengeld und können sich für zehn Tage pro Kalenderjahr (Alleinerziehende 20 Tage) freistellen lassen.
Ein Arbeitnehmer muss in behördlich angeordnete Quarantäne?
Dann greift § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Den Verdienstausfall federt für sechs Wochen eine Ersatzleistung in Höhe des Nettoverdienstes ab; danach wird Krankengeld gezahlt. Beträge, die der Arbeitgeber direkt an die zuständige Behörde leistet, um sich diese später auf Antrag in Form einer Entschädigung zurückzuholen.
Was darf der Arbeitgeber beim Thema Gesundheit?
Erst Fiebermessen, dann aufs Firmengelände? Ohne behördliche Anordnung unzulässig, weil ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Auch einen Corona-Test beim Betriebsarzt darf der Arbeitnehmer mit dem Hinweis auf freie Arztwahl ablehnen. Aber darf der Arbeitgeber eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung verlangen, um andere Beschäftigte zu schützen? Auch das nicht. Erlaubt dagegen: Beschäftigte für Hygiene und das Achten auf Symptome im direkten Umfeld zu sensibilisieren. Auf der anderen Seite dürfen Mitabeiter aus Angst vor Corona nicht einfach zuhause bleiben: Zwar kennt § 275 Abs. 3 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht. Aber als Betriebsrat sollten Sie Mitarbeitern raten, mit ihrem Arzt zu klären: Ist das Risiko tatsächlich groß? Wenn ja, bedeutet dies übrigens keine Lohnfortzahlung, sondern nur, dass das Fernbleiben keinen Kündigungsgrund darstellt.
Kollegen fallen krankheitsbedingt aus – kann der Arbeitgeber Überstunden anordnen?
Ein Recht, das Teil zahlreicher Tarif- und Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen ist. Das Bundesarbeitsgericht entschied: Einseitig durch den Arbeitgeber angeordnete Mehrarbeit kann im Notfall verpflichtend sein. Eine Entscheidung, an die hohe Hürden geknüpft sind – wie außerordentliche Gefährdung von Betriebsanlagen, Waren oder Arbeitsplätzen. Jedoch kann der Arbeitgeber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben eine gewisse Rücksichtnahme seiner Mitarbeiter erwarten. Als Betriebsrat ist es Ihre Aufgabe, darauf zu achten, dass alle Mitbestimmungsrechte gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gewährleistet sind.
Bestimmt der Arbeitgeber in Corona-Zeiten über die Form der Betriebsratsarbeit?
Auch jetzt darf kein Arbeitgeber Betriebsratssitzungen verbieten – oder über deren Zeit oder Ort bestimmen. Als Betriebsrat sind Sie dabei nicht an das Direktionsrecht des Arbeitgeber, sondern nur an behördliche Anordnungen gebunden.
Was tun, wenn ein – gesundheitlich zwingendes – Versammlungsverbot die Einhaltung wichtiger Fristen gefährdet?
Ja, auch in Coronazeiten behalten die Fristen des BetrVG Gültigkeit. Eine gesetzliche Regelung für den Fall unverschuldet versäumter Fristen steht noch aus. Tipp: Treffen Sie mit dem Arbeitgeber eine rechtverbindliche, unwiderrufliche Vereinbarung, die für sämtliche Angelegenheiten gilt, bei denen der Zeitablauf kraft gesetzlicher Fiktion als Zustimmung gewertet werden kann. So lassen sich Betriebsrat-Notfallentscheidungen auch später noch in regulärer Betriebsratssitzung bekräftigen.
Betriebsratssitzung – auch als Videokonferenz über Zoom oder Skype?
Laut § 30 S. 4 BetrVG sind Betriebsratssitzungen nicht öffentlich und Beschlüsse mit Mehrheit der Anwesenden zu fassen (§ 33 Abs.1 S. 1 BetrVG) – etwas, das via Zoom nicht zwingend gegeben ist. Allerdings muss betriebliche Mitbestimmung auch in der Krise garantiert sein, weil Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte weiter ohne Einschränkung gelten. Für Betriebsratssitzungen per Videokonferenz spricht daher seit 1. März 2020 § 129 BetrVG. Weil dieser Paragraph rückwirkend gilt, sind darüber alle Beschlüsse im Rahmen von Video- und Telefonkonferenzen abgesichert.
Mitglieder sind aus Corona-Gründen verhindert – ist die Beschlussfähigkeit gesichert?
Fällt ein Betriebsratsmitglied wegen Krankheit oder Quarantäne aus, ist ein Ersatzmitglied zu laden. Die gesetzlich festgelegte Anzahl an Betriebsratsmitgliedern wird nicht erreicht? Erscheint Ihr Gremium in der Mehrheit zur Sitzung, sind Sie beschlussfähig (§ 33 Abs. 2 BetrVG). Und ist über die Hälfte der Mitglieder verhindert, nehmen die übrigen in Anwendung von § 22 BetrVG die Mitbestimmungsrechte wahr.
Ist es eine Pflichtverletzung, wenn ich als Betriebsrat Betriebsversammlungen (§ 43 BetrVG) absage?
Nein, sofern übergeordnete Interessen Vorrang haben – wie höhere Gewalt aufgrund gesundheitlich bedingter Versammlungsverbote. Trotzdem sollten Sie alternative Wege suchen, die Belegschaft über andere Kanäle zu informieren,
Müssen Sie als Betriebsrat Seminare besuchen?
Als Betriebsrat müssen Sie sich auf Ihr Betriebsratsmandat umfassend vorbereiten. Bislang haben Sie Kenntnisse primär über Betriebsrat Seminare erworben. Weil Schulungen keine Dienstreisen sind, dürfen Sie auch in Coronazeiten Fortbildungen besuchen. Aber sollten als Betriebsrat verantwortungbewusst handeln und sich fragen: Kann ich die Teilnahme eventuell auf später verschieben? Oder dieses Wissen über ein Webinar erwerben? Die Zahl der Präsenzseminare geht ohnehin zurück – steigen Sie auf digitales Lernen um.
Wie ist das Coronavirus arbeitsschutzrechtlich einzuordnen?
Das Corona-Virus als Biostoff zählt zur Risikoklasse 3; Schutzmaßnahmen sind dem Beschluss 609 des ABAS (Ausschuss für biologische Arbeitsstoffe) zu entnehmen. Arbeitgeber sind gehalten, Gefährdungsbeurteilungen umgehend auf den Prüfstand zu stellen. Betriebsräte in Unternehmen und Einrichtungen – wie im Gesundheitswesen oder an Flughäfen – müssen sich zügig mit dem Arbeitsschutzausschuss nach § 11 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) zur Gefährdungslage im Betrieb zusammensetzen. Die Biostoffverordnung eröffnet Ihnen als Betriebsrat großen Handlungsspielraum für die Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.
Welche Betriebsvereinbarungen sind in der Corona-Krise wichtig?
Die Corona-Krise schafft Anlässe für unterschiedlichste Betriebsvereinbarungen. Zum Beispiel zu(r)
- Auskunftspflicht Beschäftigter über persönliche Reisepläne (Interessenabwägung Fürsorgepflicht/Persönlichkeitsrecht)
- Lohnfortzahlung bis zum Covid-Test
- Möglichkeiten von Homeoffice
Priorität könnte hier eine Art Corona-Betriebsvereinbarung zu Hygiene- und Sicherheit genießen: Gemeinsam durch Arbeitgeber und Betriebsrat erarbeitet, deckt diese sämtliche Regelungen ab – von Kurzarbeit über das Verhalten in der Werkskantine bis zum Thema Homeoffice. Das Ziel: Betrieb aufrechterhalten, Beschäftigte schützen – und mit vereinten Kräften durch die Krise!
Bild: pixabay.com, Aymanejed, 3196481
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