Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem viel beachteten Urteil beschlossen, dass die Bundeswehr unter bestimmten Voraussetzungen auch im Inneren bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ eingesetzt werden kann. Was es darunter versteht, darüber kann nur spekuliert werden. Eines ist jedoch klar: Mit diesem Urteil wendet es sich radikal von seiner bisherigen Position ab.
Von Afghanistan in die Uckermark?
Seit ihrer Gründung galt die eiserne Regel, dass die Bundeswehr ausschließlich zur Verteidigung der Landesgrenzen gegen eine feindliche Invasion eingesetzt werden darf. Ausnahmen stellte lediglich der unbewaffnete Einsatz im Rahmen der Hilfe bei Naturkatastrophen dar. Seit dem Beginn des Krieges gegen den Terror hat sich die Position abgeschwächt. Die Frage ist sicher berechtigt: Wenn Deutschland schon bis in den Hindukusch verteidigt wird, warum dann nicht auch bei Bedrohungen hinter der eigenen Haustür? Beantworten lässt sich das am einfachsten mit einer Gegenfrage: Gegen wen? Wer sollte eine solche Bedrohung darstellen und kann nicht mit regulären polizeilichen Methoden bekämpft werden? Die Antwort ist unklar, zumal das Gericht eindeutig klargestellt hat, dass ein Bekämpfen von Unruhen und Demonstrationen nicht unter diese Ausnahmesituationen fällt.
Unklare und realitätsferne Rechtslage
Es scheint klar zu sein, dass die Auslegung des Gerichts die Politik in Zugzwang bringt. Allerdings bleibt zweifelhaft, ob diese ihrer Aufgabe gerecht werden wird. Theoretisch ist die derzeitige Lage nicht nur unklar, sondern es bietet sich kein realistisches Szenario für einen tatsächlichen Einsatz. Was ist eine „Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ in einem „katastrophischen Ausmaß“? Bei existenten Bedrohungen wie der viel zitierten Entführung eines Flugzeugs durch Selbstmordattentäter wird der Abschuss auch weiterhin nicht von Recht und Gesetz gedeckt. Stattdessen werden hypothetische Einzelfälle herangezogen, die keine Parallelen zu Ereignissen in der Vergangenheit erlauben. Das Gericht hat sich somit um eine konsequente und eindeutige Definition der Bedingungen erfolgreich gedrückt und den Schwarzen Peter an den Gesetzgeber zurückgespielt.
Operation geglückt, Patient tot
Dass dieser sich der Lage annimmt, ist jedoch in der derzeitigen Situation eher unwahrscheinlich. Dazu ist das Risiko zu groß, und es gibt nicht genug zu gewinnen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich die Rechtsprechung bis auf weiteres in der aktuellen Form erhalten wird – bis einer der Verantwortlichen „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“ erkennt. Dann ist es für eine gerichtliche Definition allerdings viel zu spät.