Berlin (dpa/tmn) – Must-haves werden in jeder Saison neu ausgerufen. Das sind die Dinge, die Trendsetter und Fans schöner Dinge haben wollen, um in zu sein. Das gilt für die Mode, aber auch für das Wohnen. Auf die Liste dieser Trendartikel hatten Teppiche es nie geschafft – bis jetzt.
So wurden bis jetzt die Bodenbeläge einem größeren Publikum alljährlich nur auf der Domotex, der Weltleitmesse für Teppiche und Bodenbeläge in Hannover, präsentiert. Aber nun schaffen sie es sogar nach Mailand oder Köln – und damit auf die großen und wichtigen Möbelmessen der Welt. Teppichlabel, aber auch klassische Möbelfirmen präsentierten dort zum Jahresbeginn ihre Kreationen für den Boden. Hier kann sich der Teppich in einem Umfeld zeigen, für das er gemacht ist: Erst der Bodenbelag rundet eine Einrichtung ab.
Dass der Teppich derzeit eine Trendwende erlebt, hat viel mit der Boden-Grundausstattung von Wohnungen und Häusern zu tun. Hier wie dort liegen inzwischen vor allem Dielenböden oder Parkett, Laminat oder Steinzeug. Und seit Jahren sind offene Räume, in denen man lebt und arbeitet, angesagt.
Doch auch in großzügigen Grundrissen und auf glatten Böden wünscht sich der Bewohner eine gewisse Privatheit – und kuscheligen Komfort. Ein Teppich bietet da optische und akustische Qualitäten, mit denen er einerseits das Ambiente angenehmer machen kann und andererseits Atmosphäre schaffen kann. Und schließlich braucht jeder Raum gewisse Areale, die sich voneinander abgrenzen. Ein Teppich im offenen Wohnraum kann diese Bereiche bilden.
«Ein Teppich strukturiert einen Raum. Er wirkt wie eine Insel im Raum, auf der sich Sofa, Tisch und Lampe zu einem wohnlichen Bereich fügen», erklärt Stefan Diez, einer der bekanntesten deutschen Designer. Er hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema Teppich beschäftigt. Dazu kommen noch die taktilen Aspekte: Seitdem wir ständig in der digitalen Welt unterwegs sind, losgelöst von unserem ursprünglichen Tastsinn, lösen haptische und handwerkliche Qualitäten wieder ein Aha-Erlebnis aus.
Eine Wegbereiterin für den Teppich-Boom ist Nani Marquina. Die Spanierin machte sich einen Namen mit handgefertigten Designerteppichen. Neben eigenen Entwürfen lanciert Marquina Dessins von bekannten Möbel-Designern wie Jaime Hayon, Javier Mariscal, Martì Guixé oder von den Brüdern Ronan und Erwan Bouroullec.
Marquina sagt, dass sich das Image eines Teppichs durch die Verknüpfung mit einem großen Namen auflädt. «Einen Teppich kann man, wenn er mit einem bekannten Designer in Verbindung gebracht wird, besser verkaufen», erklärt sie. «Schließlich bekommt man dafür größere Aufmerksamkeit. Und Türen, die sonst geschlossen bleiben, öffnen sich plötzlich. Aber allein der Name reicht nicht, der Entwurf und die Qualität müssen natürlich stimmen.»
Auch das Label Danskina setzt auf die kreativen Fähigkeiten der Bouroullec-Brüder. In Mailand wurde gerade ihr Entwurf namens Semis aus handgesponnener tibetanischer Wolle präsentiert. Zwei Jahre haben die Designer an dem Textilbelag gearbeitet, bei dem es um ein harmonisches Miteinander von Punkten und Haptik geht. Die Punkte sind geometrisch angeordnet. Durch Variationen in Dichte und Tiefe der geknoteten Oberfläche entstehen unterschiedliche Rhythmen. Das Ganze ähnelt Luftbildaufnahmen von Pflanzen auf einem Feld.
Die niederländische Designerin Hella Jongerius gestaltet ebenfalls Teppiche für Danskina. Bei der Cross Collection ist die Oberfläche perforiert – eine besondere Herausforderung für die Kreative. Eine Kombination von Wolle und Viskose wurde extra ausgetüftelt, diese schimmert und lässt die Oberfläche lebhafter erscheinen. Zusätzlich wurde für die Rückseite aus Filz ein spezielles Anti-Rutsch-Spray entwickelt. «Was wir machen, ist schon fast eine kleine Ingenieursleistung», findet Jongerius. «Für uns selbst ist es fast nicht zu glauben, wie oft wir einen Entwurf bearbeiten müssen, bevor er wirklich ein fertiges Produkt ist.»
Vor allem bei handgeknüpften Teppichen ging es historisch stets darum, nicht nur zu schmücken, sondern auch Geschichten zu erzählen. Tiere und Pflanzen finden sich ebenso auf den edlen Stücken wie historische Ornamente. Auch hier tut sich was – ohne dass Traditionen verloren gehen.
Zum Beispiel der Berliner Teppichdesigner Jürgen Dahlmanns und sein Label Rug Star lassen Koi-Karpfen über den Boden schwimmen. Oder sie lassen sich von 400 Jahre alten indischen Zeichnungen inspirieren. Fast zu einem Kunstwerk werden Teppich durch die Technik Tufting, der sich Dahlmann auch widmet. Auf seinem NewClassic Mughal heben sich dadurch florale Motive dreidimensional vom dunklen Hintergrund ab.
Die Modelle von Hossein Rezvani mit ungewöhnlichen Farbkombinationen und geometrischen Linien hingegen stehen für modernes Design aus dem Iran. Entworfen werden sie am Computer am Firmensitz in Hamburg, werden dann übermittelt an Teppichzeichner im Iran. Sie skalieren die wie Pixel aufgebauten Bilder auf die jeweils gewünschte Teppichgröße. Knapp 3,5 Monate brauchen Knüpfer anschließend für einen circa sechs Quadratmeter großen Teppich aus persischer Hochlandwolle und Seide mit mehr als 400 000 Knoten pro Quadratmeter.
(dpa)