Dortmund – Erste Gratulationen schlugen die designierten Münchner Geister-Meister um den neuen Titelschmied Hansi Flick gönnerhaft aus.
Es tauchten auch keine Bilder mit alkoholischen Getränken auf, die nach dem gefühlten K.o.-Hieb für Borussia Dortmund bei einer spontanen Feier in der Bayern-Kabine gereicht worden wären.
Dafür dokumentierten die Bilder des Jubelschreie ausstoßenden Matchwinners Joshua Kimmich im leeren Dortmunder Fußballtempel nach dem 1:0 im Bundesliga-Topspiel den Unterschied zwischen den gierigen Dauer-Champions aus München und den Fußball-Schöngeistern des BVB. Die einen lechzen auch nach sieben Meisterjahren nach dem achten Titelgewinn nacheinander, die anderen haben schon wieder ein entscheidendes Spiel verloren.
Der frühere Bayern-Star Bastian Schweinsteiger sprach als ARD-Experte aus, was in Deutschland wohl 99,9 Prozent der Fußball-Interessierten denken: «Man kann die Schale schon mal Richtung München schicken.» Ähnlich äußerte sich Mats Hummels, der vor einem Jahr als Meister aus München nach Dortmund zurückgekehrt war und praktisch kapitulierte: «Jetzt entscheiden nur noch die Bayern, ob sie es machen oder nicht.»
Sechs Spieltage gibt es noch. Sechsmal Schaulaufen für die Bayern? Nein, so weit wollte Bayern-Coach Flick natürlich nicht vorausdenken. Aber auch der 55-Jährige weiß, dass seine Titelpremiere als Chefcoach im ersten Bayern-Jahr nur noch Formsache ist. «Das ist ein schönes Gefühl, sieben Punkte Vorsprung zu haben», sagte der 55-Jährige.
Er hat das Münchner Starensemble wieder zu einer Sieg-Maschine geformt. Sie folgt ihm geschlossen. Flick wünschte sich, dass in Dortmund hinten die Null steht – diesen Gefallen taten ihm seine Spieler. «Wir hatten einen guten Defensivverbund», sagte Torwart Manuel Neuer. Dortmunds Torproduktion wurde der Strom abgedreht.
Flick ließ im Glücksgefühl des Sieges nicht unerwähnt, welchen Anteil am Erfolg gerade auch er als Nachfolger des im November 2019 abgelösten Double-Gewinners Niko Kovac hat: «Wir waren irgendwann vor der Winterpause mal mit vier Punkten hinten dran.» Es waren nach dem 14. Spieltag sogar einmal sieben Zähler Abstand auf Platz eins.
«Brutal wichtig» nannte der Mann des Abends den (vor)entscheidenden Bayern-Schlag im Titelkampf. Nationalspieler Kimmich entschied die Partie ja nicht nur mit einem «Geniestreich», wie Flick schwärmte. Der 25-Jährige kam auf 109 Ballaktionen, mit der Laufleistung von 13,7 Kilometern stellte er einen Bundesliga-Saisonrekord auf. «Mit den Fans im Rücken geht das schon», scherzte Kimmich im praktisch leeren Stadion. Den Dortmundern hätten 80.000 Zuschauer im Rücken vermutlich mehr genützt – ein Kimmich brennt auch ohne Publikum.
Flick rühmte den Juniorchef, den er dauerhaft ins zentrale defensive Mittelfeld versetzt hat. «Auf der Sechs kann er seine Stärken noch besser einsetzen», begründete Flick. Der Streber Kimmich ist zudem einer, der in den Teamsitzungen besonders zuhört. Das wurde beim Lupfer über den düpierten BVB-Torwart Roman Bürki deutlich. «Es war schon spontan, aber ich wollte das so. Wir wurden vor dem Spiel darauf hingewiesen, dass Bürki ab und an weit vor dem Tor steht.»
Kimmich führt beim Rekordmeister die «Next Generation» um Leon Goretzka, Niklas Süle und Serge Gnabry an, die das Sieger-Gen von Manuel Neuer, Thomas Müller oder der vor einem Jahr abgedankten Helden Franck Ribéry und Arjen Robben in sich aufgenommen hat. «Josh ist einer, der immer antreibt, zu hundert Prozent fokussiert ist und eine Gewinnermentalität hat», sagte Flick, der hinzufügte: «Es gibt viele Spieler bei Bayern München, die diese Mentalität haben.»
Borussia Dortmund hat auch viele tolle Fußballer, aber nicht den Punch der Bayern. Hadern durfte der BVB mit dem nicht gegebenen Elfmeter beim Schuss von Erling Haaland, den Jérôme Boateng mit dem Oberarm zur Ecke abwehrte. Ansonsten wird bei der Borussia nun wieder über den auch im zweiten Jahr titellosen Trainer Lucien Favre diskutiert, während die Bayern mit Flick eine reiche Ernte in der von der Corona-Pandemie beeinträchtigen Saison einfahren könnten.
Der erste Triple-Schritt ist praktisch vollzogen. In zwei Wochen soll gegen Eintracht Frankfurt der Einzug ins DFB-Pokalfinale folgen. Und vielleicht wird irgendwann im Sommer auch noch die Champions League fertiggespielt, in der sich die Bayern bis zum Corona-Zwangsstopp im März ebenfalls zu einem echten Titelanwärter entwickelt hatten.
Schweinsteiger, der 2013 mit der von ihm bewunderten Trainerlegende Jupp Heynckes das Triple holte, sieht Parallelen bei seinem einstigen Co-Trainer Flick, mit dem er als Nationalspieler 2014 Weltmeister wurde: «Hansi Flick hat gewisse Züge eines Jupp Heynckes.» Hansi Flick könnte in München eine Ära prägen – sozusagen als «Jupp» Flick.
(dpa)