Berlin – Lewis Hamiltons struppiger Corona-Bart täuscht. Der Weltmeister ist in der Zwangspause der Formel 1 keineswegs nachlässig geworden und sehnt die Rückkehr ins Cockpit herbei.
«Ich fühle mich frischer und gesünder als je zuvor», sagt der 35-Jährige und spürt durch die ungeplante Auszeit «mehr Energie, mehr Inspiration und mehr Entschlossenheit» für neue Erfolge. Die Worte des sechsmaligen Champions in einem Video, das sein Mercedes-Team verbreitete, müssen für die Titelkonkurrenz nach Drohung klingen.
Hamilton will endlich zurück auf den Asphalt, zur Not eben mit Geisterrennen. «Ich weiß nicht, wie spannend es für die Leute am Fernsehen sein wird, aber es ist besser als nichts», sagt der Silberpfeil-Pilot. Rennfahren bleibe auch vor leeren Rängen Rennfahren. «Ich vermisse es wirklich», sagt Hamilton und blickt vor seiner holzgetäfelten Wand etwas sehnsüchtig in die Kamera.
Seit der kurzfristigen Absage des Saisonauftakts in Australien Mitte März, die Hamilton als «Schock für das System» empfand, stehen die Räder in der Formel 1 still. Am 5. Juli will die Rennserie nun loslegen, ohne Zuschauer in Österreich. Die Testfahrten mit den neuen Autos werden dann vier Monate zurückliegen, der bislang letzte Grand Prix sogar sieben Monate. Renault-Pilot Daniel Ricciardo erwartet beim Neustart deshalb «eine Form von Chaos».
Etwas eingerostet würden die Fahrer sein, erklärte der Australier dem BBC Radio. «Eine Kombination aus Emotionen, Aufregung und Eifer» könnte so manchen Piloten in Fehler und unvorsichtige Manöver zwingen. Ähnlich hatte sich zuvor schon Red-Bull-Teamchef Christian Horner im britischen «Guardian» geäußert: «Die Fahrer waren wahrscheinlich noch nie so lange aus einem Sitz draußen.»
Die erzwungene Entschleunigung ist auch für Hamilton eine völlig neue Erfahrung. Das Superstar-Leben auf der Überholspur ist vorerst ausgebremst. «Es ist das erste Mal, dass ich für sechs Wochen an einem Ort bin, seit ich mich erinnern kann», sagt Hamilton.
Eine Pause, die er durchaus als Chance begreift. «Es gab Zeiten in den vergangenen fünf Jahren, in denen ich dachte, dass eine Erholungspause gut für den Körper und den Kopf wäre. Aber für einen Athleten auf dem Höhepunkt ist es nie gut, für ein Jahr wegzugehen. Jetzt wurde uns eine Teil-Sabbatjahr beschert, das genieße ich», sagt Hamilton.
Ein Online-Kurs in Französisch, den er etwas zu ehrgeizig anging, lange Video-Chats mit Familie und Freunden und Internet-Spiele gegen seine Formel-1-Rivalen Charles Leclerc und Pierre Gasly – langweilig scheint es Hamilton in der Corona-Zeit nicht zu werden. «Das Wichtigste ist, diese Zeit nicht zu verschwenden», mahnt der Brite.
Dazu gehört für ihn auch die Trainingsarbeit an seiner Fitness und an körperlichen Schwachpunkten wie seinen Wadenmuskeln. Schließlich hat Hamilton weiter seinen siebten WM-Titel im Visier, mit dem er den Rekord von Michael Schumacher einstellen würde.
Antrieb geben Hamilton die Nachrichten, die ihm derzeit Menschen aus aller Welt senden würden. Diese wünschten sich, wieder Live-Sport sehen zu können. «Das zeigt, wie bedeutend der Sport im Leben der Menschen ist. Er bringt uns alle zusammen, ist aufregend und mitreißend», sagt Hamilton.
Ohnehin sieht der Rennfahrer die Corona-Krise «auf der anderen Seite auch als einen Segen. Es lässt dich die Dinge, die du liebst und machst, mehr wertschätzen.»
(dpa)