Aus dem Schatten von Löw: DFB-Arzt Meyer in kniffliger Rolle

Saarbrücken – In normalen Fußballzeiten agiert Tim Meyer weitgehend unbemerkt im Schatten von Bundestrainer Joachim Löw und Nationalspielern wie Serge Gnabry oder Timo Werner. Jetzt aber, in der Corona-Krise, steht der DFB-Chefmediziner plötzlich im Fokus.

Der 52-Jährige soll als Leiter einer Experten-Task-Force der Deutschen Fußball Liga mithelfen, dass die 36 Erst- und Zweitligisten mit der Austragung von Geisterspielen die Pandemie vor allem wirtschaftlich durchstehen können. Er weiß, worum es geht – auch für ihn.

In einigen Medien ist nun von der «Meyer-Kommission» die Rede. Und damit wird eine erfolgreiche Umsetzung des erarbeiteten Konzepts für die Durchführung eines Sonderspielbetriebs ohne Zuschauer im Stadion in Bundesliga und 2. Liga auch an seinem Namen festgemacht werden. Die zugeschriebene Retterrolle behagt Meyer nicht. Aber er wird mit ihr umgehen müssen und können. Er kennt sich nach fast 20 Jahren als Arzt der deutschen Nationalmannschaft mit den Medienmechanismen aus.

«Am liebsten hat man dort den Helden oder den Versager. So wird die Fallhöhe aber auch recht groß gemacht», sagt er. Innerlich habe er nicht «hurra» gerufen, als ihn der Ruf der Bundesliga Ende März ereilte: «Als Vorsitzender der Medizinischen Kommission des DFB fühlte ich mich aber auch verpflichtet, diese Aufgabe zu übernehmen.»

Meyers Expertengruppe hat ein über 40 Seiten umfassendes Konzept erarbeitet, über das seit der Veröffentlichung eifrig von Experten, Politikern, Journalisten, Fußballfunktionären und Laien diskutiert und gestritten wird. Natürlich hält er selbst es für umsetzbar und funktionstüchtig, auch wenn das erst der Ernstfall im Stadion, der irgendwann im Mai stattfinden soll, belegen könnte. Eines darf Meyer für sich und seine Mitstreiter aber sicherlich in Anspruch nehmen, nämlich die Versicherung, «sorgfältig» vorgegangen zu sein.

Das würde bestimmt auch der Bundestrainer «seinem» Mannschaftsarzt bestätigen – schon aus eigener Erfahrung. Joachim Löw schätzt das große Fachwissen des Internisten, mit dem er beim Nationalteam seit inzwischen fast 16 Jahren eng zusammenarbeitet. «Der Doc Meyer macht nichts, was nicht vorher durch eine Langzeitstudie bewiesen worden ist», sagte Löw einmal augenzwinkernd über den Leiter des Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes.

Meyer sitzt bei Länderspielen nur wenige Plätze entfernt von Löw auf der Ersatzbank. Er ist aber nicht dafür zuständig, nach einem Foul an Toni Kroos auf den Platz zu sprinten, um diesen dort vor einem Millionenpublikum zu behandeln. Das war jahrelang die Aufgabe von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem berühmten Bayern-Doc.

Fußball fasziniert Meyer, in seiner niedersächsischen Heimat spielte er einst beim ASC Nienburg. Bei den Trainingseinheiten des DFB-Teams ist es ein vertrautes Bild, wie er am Spielfeldrand steht und darauf achtet, dass Joshua Kimmich und Co. in den Pausen stets ausreichend trinken. Auf Meyer gehen die «Eistonnen» zur Regeneration zurück, aus denen Per Mertesacker bei der WM 2014 gar nicht mehr hinauswollte.

Im großen DFB-Betreuerstab kann Löw auf Top-Experten zurückgreifen. Der Bundestrainer hört dabei auch auf Meyers Ratschläge. Bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika wohnte die Nationalelf nicht idyllisch an Meer und Strand, sondern wegen der Höhe zentral nahe Johannesburg. Als die Nationalelf in Kasachstan spielte, folgte Löw der Meyerschen Empfehlung, die Zeitumstellung von fünf Stunden zu ignorieren. Der DFB-Tross lebte in Astana weiter nach der deutschen Zeit, die Zimmer der Spieler wurden dafür bis mittags verdunkelt.

Das Thema Hygieneschutz kennen langgediente Nationalspieler wie Manuel Neuer (34) oder Toni Kroos (30) nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Schon 2014 beim WM-Triumph in Brasilien ließ Meyer im Campo Bahia, dem legendären deutschen Quartier, Desinfektionsmittel verteilen. Er wies auf die Infektionssituation in dem südamerikanischen Land hin. Fachchinesisch ist dann aber nicht angesagt. «Ich würde den Spielern mächtig auf die Nerven gehen, wenn ich ihnen ständig die Ergebnisse der neuesten Studien präsentierte», erzählte Meyer im Trainingslager vor der WM 2018 in Russland.

Vielleicht wird sich der eine oder andere Nationalspieler bei ihm erkundigen, wie groß die gesundheitlichen Risiken bei dem nicht zu vermeidenden Körperkontakt bei Fußballspielen mit dem Virus wäre. Er würde «ihn ganz ehrlich aufklären», aber als Mediziner auch beruhigen. «Ich würde ihm sagen, das Risiko ist für dich individuell sicherlich ausgesprochen gering, aber natürlich liegt es nicht bei null. Null ist unmöglich in dieser Pandemie», antwortet Meyer.

Als Fußballfan würde er sich freuen, «wenn der Ball wieder rollt». Ohne Bundesliga und Länderspiele fehlt auch in Meyers Leben etwas. Darum hofft er «ganz stark» auf die Geisterspiele, für deren Ablauf er mit seiner Task Force die Rahmenbedingungen entworfen hat.


(dpa)

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