Düsseldorf – Niko Kappel nahm Anlauf, es lag noch keine Klorolle als Hindernis auf. Es war der Übungssprung der zweiten Disziplin im «Parantänischen Dreikampf».
Der Paralympicssieger im Kugelstoßen lief an, sprang per Fosbury Flop auf die Couch – und es gab ein lautes Knacken. Die Couch war kaputt, Kappel musste aus der zweiten Disziplin Hochsprung aussteigen. Zwar gewann er letztlich das Fernduell im «NRD-Sportclub» gegen Speerwerfer Mathias Mester. Dennoch zog der ebenfalls kleinwüchsige Erfinder der «Parantänischen Spiele» ein positives Fazit. «Ich habe zwar verloren», sagte Mester: «Aber wenigstens ist meine Couch noch ganz.»
Mester hat es sich zur Aufgabe gemacht, Menschen zu erheitern. Bei den «Parantänischen Spielen» krault er durch die eigene Badewanne, macht Hochsprung ins Bett, hält Klorollen mit dem Fuß hoch oder hüpft mit einem Gummihasen über Hindernisse im Garten. Auch Sprint-Ass Gina Lückenkemper schaltete sich als virtuelle Basketballerin ein. «Ich will die Menschen etwas ablenken und sie in diesen seltsamen Zeiten zum Lachen bringen», sagt der für Kaiserslautern startende Westfale. Über den Verkauf von virtuellen Tickets für seine Spiele hat er zudem bereits eine vierstellige Summe für die «Aktion Mensch» gesammelt.
So kreativ wie Mester sind manche paralympische Sportler in der coronabedingten Trainings- und Wettkampfpause. Yannik Rüddenklau spielte auf dem Wohnzimmertisch Tischtennis mit Bratpfannen und Konservendosen, Oliver Hörauf baute sich in der Einfahrt eine Goalball-Anlage aus Baumstämmen und umgekippten Bänken. Katharina Krüger spielte Rollstuhltennis im Garten, Radsportlerin Denise Schindler baute ihren Balkon zum Gym um, Boris Nicolai spielte Boccia im Wohnzimmer, Kappel machte aus dem Keller einen Fitnessraum. «Da bin ich offenbar zu stark geworden. Und zu viel gegessen habe ich auch», sagt er lachend mit Blick auf die kaputte Couch.
Doch viele von ihnen sind entweder durch den Lockout und die Verschiebung der Paralympischen Spiele oder sogar gesundheitliche Umstände weitaus mehr betroffen als nicht behinderte Athleten. So gehören Sportler mit einem hohem Querschnitt zur Risikogruppe, weil sie meist unter beeinträchtigter Lungenfunktion leiden. Zudem ist Training abseits der Sportanlagen für viele aufgrund besonderer Umstände mit Rollstühlen oder Sprung- und Sprintprothesen nicht möglich. Was viele derart zurückwirft, dass «manche nach drei, vier Monaten Pause garantiert nicht mehr zurückkommen würden», wie Erfolgstrainer Karl-Heinz Düe erklärt.
Der 70-Jährige Düe, aktueller «Trainer des Jahres» in Nordrhein-Westfalen, formte unter anderem Markus Rehm, Heinrich Popow oder zuletzt Johannes Floors in Leverkusen zu Stars der Szene. Und verfolgt die aktuelle Phase mit Sorgen. «Die Nichtbehinderten können genug reduziert trainieren. Im Wald, im Park, auf Rasen», sagt er: «Das geht bei den Behinderten nicht. Schon gar nicht auf Rasen, weil der uneben ist.»
Sprinter Felix Streng zum Beispiel kann mit seinen Spikesfedern nur mit Gummischutz abseits von Laufbahnen laufen. Was ihn zwei bis drei Zentimeter größer macht. «Das heißt, es kommt zu Dysbalancen in der Schulter und im Rücken», erklärt Düe. Doppelamputierte wie David Behre können gar nicht draußen laufen.
Er frage sich, wie lange er die Athleten bei der Stange halten könne, sagt Düe. Zumal viele zur Vorbereitung auf die eigentlich in rund vier Monaten stattfindenden Spiele ein Urlaubssemester eingelegt haben. «Die haben ja nun nichts zu tun», sagt Düe: «Wenn ich denen kein Programm gebe, dann fällt denen die Bude auf den Kopf.»
Noch eingeschränkter sind querschnittsgelähmte Athleten. «Ich habe zwar eine normale Lungenkapazität, kann aber nicht so gut abhusten, weil meine Zwerchfellmuskulatur nicht so gut ausgeprägt ist», berichtet Rollstuhl-Basketballerin Annabel Breuer der «Hessenschau»: «Ich gehe nur noch raus, wenn ich einkaufen muss. Und dann ist es mir schon ein bisschen unwohl.»
Der Journalist und ehemalige Rollstuhl-Basketballer Jan Kampmann hat mit einigen anderen wie dem Aktivisten Raul Krauthausen die «#Risikogruppe» gegründet. «Du hast gedacht, wir wären kettenrauchende Todkranke oder zumindest alt und tatterig. Weit gefehlt», schriebt diese. Sie seien alle aktiv, hätten aber «keinen Bock» zu sterben. Deshalb appellieren sie an alle, zu Hause zu bleiben. «Denn jedes Mal, wenn man sich an die Regeln hält, stirbt ein Rollstuhlfahrer, eine Oma oder eine Diabetikerin weniger.»
Ein kompletter Sonderfall ist schließlich Andrea Eskau. Deutschlands Fahnenträgerin und Para-Sportlerin des Jahres 2018 ist die einzige Athletin, die mit dem Handbike im Sommer und mit dem Rennschlitten im Winter startet. Mit beidem hat sie je viermal Gold gewonnen. Doch dass nun nur noch ein halbes Jahr Pause zwischen Sommer- und Winterspielen liegt, stellt für sie eine riesige Herausforderung dar.
(dpa)