Berlin – Immer deutlicher zeichnet sich auch in Deutschland ab: Aufhalten lassen wird sich Sars-CoV-2 nicht mehr. Was ist über das Virus und die von ihm verursachte Erkrankung Covid-19 bekannt?
Wie stark wird sich Sars-CoV-2 in Deutschland ausbreiten?
«Mit weiteren Fällen, Infektionsketten und auch Ausbrüchen in Deutschland muss gerechnet werden», heißt es beim Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Da es gegen einen neuen Erreger zunächst keine Immunität in der Bevölkerung gibt, kann eine Ausbreitungswelle große Teile davon erfassen. Der Berliner Virologe Christian Drosten rechnet für Deutschland mit insgesamt hohen Infektionszahlen. «Es werden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent infizieren, aber wir wissen nicht, in welcher Zeit», sagte er. «Das kann durchaus zwei Jahre dauern oder sogar noch länger.»
Was bedeutet die Epidemie für das Gesundheitssystem und die Gesellschaft?
Das hängt maßgeblich von einem Faktor ab: der Geschwindigkeit der Ausbreitung. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft sein, erklärt Drosten. Problematisch wird das Infektionsgeschehen vor allem dann, wenn es komprimiert in kurzer Zeit auftritt. Dann drohen volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und vollkommen überlastete Gesundheitsämter. Viele Arbeitnehmer würden fehlen, auch an Schulen, Instituten und anderen Einrichtungen könnte es Probleme wegen kranken Personals geben. Von der britischen Regierung vorgestellten Schätzungen zufolge könnte dort im Zuge der fortschreitenden Erkrankungswelle in der Hochphase jede fünfte Arbeitskraft ausfallen.
Wie ansteckend ist das neue Coronavirus?
Ein Wert, wie viele andere Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt, lässt sich noch nicht gesichert angeben. Es sei der am schwersten abzuschätzende Faktor derzeit, erklärt Drosten. Es gebe Hinweise, dass ein Infizierter im Mittel drei weitere Menschen ansteckt – dieser Wert sei aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Gestoppt wird eine Epidemie dann, wenn ein Infizierter statistisch im Durchschnitt weniger als einen weiteren Menschen ansteckt.
Das Virus vermehrt sich im Rachen und verbreitet sich vor allem durch Tröpfchen etwa beim Husten und Sprechen. «Die fliegen vielleicht so eineinhalb Meter weit und fallen relativ schnell zu Boden», erklärt Drosten. «Es ist das Einatmen einer solchen Wolke, die einen infiziert in den meisten Fällen.» Nur in Kontaktsituationen gibt es demnach ein reales Risiko – etwa, wenn man mit einem Infizierten ungefähr eine Viertelstunde oder länger gesprochen habe.
Die Inkubationszeit – der Zeitraum zwischen Infektion und Beginn von Symptomen – beträgt nach derzeitigem Stand meist 2 bis 14 Tage. Das ist der Grund dafür, dass Verdachtsfälle zwei Wochen isoliert werden.
Wie gefährlich ist das Virus?
Die meisten Menschen haben nur eine leichte Erkältungssymptomatik mit Frösteln und Halsschmerzen oder gar keine Symptome. Hinzukommen können Fieber und Husten, wie sie auch bei einer Grippe auftreten. Auch Kopfschmerzen oder Durchfall sind möglich.
Etwa 15 von 100 Infizierten erkranken schwer, wie es vom Robert Koch-Institut (RKI) hieß. Sie bekommen etwa Atemprobleme oder eine Lungenentzündung. Betroffen sind zumeist Menschen aus Risikogruppen wie Krebskranke in Chemotherapie, alte Menschen und solche mit Vorerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auf Diabetes zurückgehenden Organschäden.
Todesfälle – etwa durch Atemstillstand, septischen Schock oder Multiorganversagen – sind selten. Nach derzeitigen Daten liege die Covid-19-Todesrate bei etwa 0,3 bis 0,7 Prozent, sagt Drosten. Das bedeutet, dass von 1000 Infizierten 3 bis 7 sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter.
Eine Auswertung in China hatte kürzlich ergeben, dass im Land etwa 2,3 Prozent der mit Sars-CoV-2 Infizierten sterben. Experten gehen davon aus, dass dieser Schätzwert zu hoch liegt, weil viele milde Infektionen nicht mit in die Statistik eingeflossen sind. Derselben Auswertung zufolge liegt die Todesrate bei Menschen über 80 Jahren bei knapp 15 Prozent, es sterben also in dieser Altersgruppe in China nach der vorliegenden Statistik etwa 15 von 100 Infizierten. In der Gruppe der 10 bis 39 Jahre alten Menschen sind es 0,2 Prozent der Infizierten, also etwa 2 von 1000 Betroffenen.
Wie lässt sich die neue Lungenkrankheit behandeln?
Eine spezielle Therapie für die Erkrankung Covid-19 gibt es nicht. Schwer erkrankte Patienten werden symptomatisch behandelt: mit fiebersenkenden Mitteln, der Therapie etwaiger bakterieller Zusatzinfektionen und mitunter mechanischer Beatmung. In Einzelfällen werden auch antivirale Medikamente getestet.
Gibt es eine schützende Impfung?
Nein. Etliche Labors weltweit forschen derzeit an Impfstoffen wie es sie auch für die Grippe gibt. Die Entwicklung einer Schutzimpfung nimmt aber viel Zeit in Anspruch. Soumya Swaminathan, Chefwissenschaftlerin bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) glaubt, dass ein zertifizierter Impfstoff für den weitreichenden Einsatz wohl erst in 18 Monaten zur Verfügung steht.
Die US-Arzneimittelzulassungsbehörde FDA gab nach Angaben von Gesundheitsminister Alex Azar grünes Licht für erste klinische Tests eines potenziellen Impfstoffs gegen das neuartige Coronavirus. Der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, betonte, damit ändere sich nichts am bisherigen Zeitplan für einen möglichen Impfstoff. «Der ganze Prozess wird mindestens ein oder eineinhalb Jahre dauern.»
Wie kann ich mich derzeit vor einer Ansteckung schützen?
Zum Schutz vor diesem wie auch anderen Viren empfehlen Experten gewöhnliche Hygienemaßnahmen: regelmäßiges Händewaschen, Desinfektionsmittel und Abstand zu Erkrankten. Den Nutzen von normalen Atemmasken schätzen Experten als eher gering ein. Helfen kann es, Umarmungen und Händeschütteln einzuschränken und von vielen Menschen berührte Oberflächen wie Türklinken, Haltegriffe und Aufzugknöpfe nicht anzufassen.
Beim Aufenthalt in öffentlichen Räumen sollte man das Berühren der Nasenschleimhäute und das Reiben der Augen vermeiden, sagte der Greifswalder Hygienefacharzt Günter Kampf. «Das Virus will in die Atemwege.» Zu Hause angekommen sollte man als erstes unbedingt die Hände gründlich waschen.
Kann ich mich anstecken, wenn ich ein Paket aus China oder anderen Risikogebieten bekomme?
Grundsätzlich sei unklar, wie lange das Virus auf Oberflächen überlebt, heißt es von der WHO. Studien legten nahe, dass es einige Stunden oder Tage seien – abhängig von Bedingungen wie Oberfläche, Temperatur oder Feuchtigkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Infizierter Waren mit dem Virus verunreinigt, stuft die Behörde als gering ein. Auch das Risiko, dass sich ein Empfänger über ein Paket ansteckt, das auf dem Transport unterschiedlichen Bedingungen und Temperaturen ausgesetzt ist, sei gering. Importierte Lebensmittel und Waren wie Spielzeug, Computer oder Kleidung seien als Infektionsquellen unwahrscheinlich, sagt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Kann mein Haustier das Virus übertragen?
Ein Übertragungsrisiko durch Haustiere besteht nach Einschätzung eines Experten kaum. Ein in Südkorea gemeldeter Fall, bei dem Sars-CoV-2 bei einem Hund nachgewiesen worden sein soll, sei in der wissenschaftlichen Literatur nicht bestätigt, sagte Albert Osterhaus, Virologe an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Man könne es nicht komplett ausschließen, aber es sei nicht wahrscheinlich, dass dies für die Übertragung auf den Menschen eine Rolle spielen kann – wenn überhaupt, dann über die Haut und das Fell.
Was tue ich, wenn ich fürchte, mich angesteckt zu haben?
Auf keinen Fall direkt in eine Praxis oder Notaufnahme gehen. Wer Symptome hat und – etwa wegen des Kontakts zu einem nachweislich Infizierten – befürchtet, an Covid-19 erkrankt zu sein, soll sich zunächst telefonisch bei seinem Hausarzt oder dem Gesundheitsamt melden. «Denn wenn man nun wirklich daran erkrankt sein sollte, dann muss man das ja nicht unbedingt in ein voll besetztes Wartezimmer mit ohnehin schon geschwächten Immunsystemen reintragen», erklärt der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Christian Schmuck. In mehreren Bundesländern gibt es derzeit die Überlegung, spezielle Zentren als Anlaufstelle für mögliche Sars-CoV-Infizierte einzurichten. An der Berliner Charité etwa ist eine solche separate Untersuchungsstelle für Verdachtsfälle bereits in Betrieb.
Was darf der Staat im Ernstfall?
Das Wesentliche regelt das bundesweit gültige Infektionsschutzgesetz (IfSG). Ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums fasst zusammen: «Wenn es erforderlich ist, können auch wichtige Grundrechte wie Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit oder Unverletzlichkeit der Wohnung sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt werden.» Behörden dürfen laut dem Bayreuther Staatsrechtler Stephan Rixen Blutentnahmen und Abstriche von Haut und Schleimhäuten verlangen. Auch «Krankheitsverdächtigen» und «Ansteckungsverdächtigen» – wie das Gesetz es ausdrückt – könne ein Berufsverbot auferlegt werden. Zum Schutz anderer könnten Menschen auch «in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden», heißt es im Gesetz.
Wird sich die Situation im Frühjahr verändern?
Die Grippe und andere Erkältungskrankheiten haben im Winter Hauptsaison. Auch bei Sars-CoV-2 gibt es die Hoffnung, dass die Epidemie in den wärmeren Monaten abflauen könnte – zeitweise zumindest. Helfende Effekte sind Drosten zufolge «die Wärme im Sommer, UV-Strahlen und die Tatsache, dass Leute vermehrt draußen sind und sich weniger aneinander infizieren können». In der zweiten Jahreshälfte müsse man sich dann aber in Europa darauf einstellen, dass es wieder kälter werde und dieser Zusatzeffekt wegfalle.
(dpa)