Schicksalsspiel für BVB-Coach Favre – «Von Beginn an leiden»

Barcelona – Über seinen Gemütszustand mochte Lucien Favre nicht reden. Obwohl sich die Sorgen des Trainers um seinen Arbeitsplatz bei Borussia Dortmund in den vergangenen Tagen beträchtlich erhöht haben, wahrte der Schweizer die Contenance.

Mit einem kurzen «Nein» antwortete er vor dem schweren Champions-League-Duell beim FC Barcelona am Mittwoch (21 Uhr/Sky) auf die Frage, ob er sich als Coach auf Bewährung sieht. Beiläufig fügte er an: «Druck ist immer da, egal wo du trainierst oder wo du spielst.»

Doch die Miene des Fußball-Lehrers schon beim Abflug am Vormittag verriet mehr als tausend Worte. Mit gequältem Lächeln schrieb der Dortmunder Trainer auf dem Weg zum Flugzeug Autogramme für die Fans. Die Aussicht auf seine möglicherweise letzte Europapokalreise mit dem BVB drückte aufs Gemüt. Nach der Forderung von Hans-Joachim Watzke an Favre, möglichst schnell für «Ergebnisse» zu sorgen, muss der Fußball-Lehrer liefern. Vereinsboss Watzke sieht Anzeichen für eine Trendwende: «Ich habe das Gefühl, dass sich in der Mannschaft nach Paderborn etwas getan hat. Es ist irgendetwas passiert an diesem Wochenende.»

Ähnlich wie Watzke hofft auch Marco Reus auf eine positive Wirkung der jüngsten Krisensitzungen, die nach dem peinlichen 3:3 gegen den Bundesliga-Letzten nötig wurden. Stellvertretend für seine Mitstreiter versprach der Kapitän dem Coach, beim Erhalt seines Arbeitsplatzes zu helfen: «Wir dürfen die Verantwortung nicht immer weiterschieben. Aber dazu gehören bestimmte Tugenden auf dem Platz.» Kämpferisch fügte Reus an: «Wir spielen momentan immer nur dann gut, wenn wir das Gefühl haben, nichts mehr zu verlieren zu haben. Nun liegt unser Hauptaugenmerk darauf, von Beginn an zu leiden und nicht immer einem Rückstand hinterher zu laufen.»

Doch die Zweifel, dass die Profis nach den beiden viel kritisierten Auftritten in München (0:4) und gegen Paderborn (3:3) ausgerechnet in Barcelona zurück in die Erfolgsspur finden, bleiben groß. Nicht nur die imposante Bilanz des Gegners von zuletzt 34 Heimspielen in der Champions League ohne Niederlage, sondern auch der derzeitige Zustand der Mannschaft schürt die Skepsis. Für Watzke ist das ein Grund mehr, Zuversicht zu verbreiten: «Wenn es uns in den nächsten Wochen gelingt, zu alter Stärke zurückzufinden, können wir in dieser Saison noch eine Menge reparieren.»

Ein Sieg beim ungeschlagenen Tabellenführer Barcelona (8 Punkte) würde die Reparaturarbeiten erheblich erleichtern. Schließlich wäre der BVB (7) damit sicher im Achtelfinale – unabhängig vom Ausgang der zweiten Partie zwischen Inter Mailand (4) und Slavia Prag (2). Nationalspieler Reus riet allen Beteiligten, die vergangenen Spiele in München und gegen Paderborn auszublenden: «Es beginnt wieder bei Null. Wir haben eine Riesenchance, uns für die nächste Runde zu qualifizieren.»

Dass der zweikampfstarke Thomas Delaney bis zur Winterpause ausfällt, könnte sich gerade in Barcelona als schwere Hypothek erweisen. Zudem muss Favre auf Paco Alcácer verzichten. Der Torjäger und einstige Barça-Profi hatte sich am Samstag gegen Paderborn eine Fleischwunde am Knie zugezogen und leidet derzeit zudem an einem Magen-Darm-Virus.

Mut für die schwere Aufgabe beim Tabellenführer der spanischen Liga macht das 0:0 im Hinspiel Mitte September, als der deutsche Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen die unterlegenen Katalanen vor einer Niederlage bewahrte und dabei auch einen Elfmeter von Reus parierte. «Wenn wir es machen wie im Hinspiel, haben wir gute Chancen. Wir müssen das ganze Spiel versuchen, mutig zu sein», sagte Reus am Dienstagabend kurz vor dem Abschlusstraining in der Fußball-Kultstätte Nou Camp.

Das Wiedersehen mit Ousmane Dembélé verleiht der Partie zusätzliche Brisanz. Zweieinhalb Jahre, nachdem sich der Angreifer unter spektakulären Begleitumständen aus Dortmund Richtung Barcelona weggestreikt hatte, trifft er erstmals auf seine alten Mitstreiter. «Emotional wird es schon ein bisschen schwer sein. Aber ich freue mich, sie wieder zu sehen und gegen sie zu spielen», kommentierte der französische Weltmeister. Das dürfte ihn kaum vor Pfiffen der BVB-Fans bewahren.


(dpa)

(dpa)