Harrogate – Mit 16 Jahren spielte er in der belgischen Fußball-Juniorenauswahl. Den Halbmarathon lief er in beachtlichen 1:13 Stunden – Remco Evenepoels große Leidenschaft war und ist aber der Radsport.
Spätestens seit seinem zweiten Platz im Einzelzeitfahren bei der Straßenrad-WM ist das belgische «Wunderkind» endgültig auf der großen Bühne angekommen. «Mit 19 so eine Leistung zu bringen, ist unglaublich. Wahrscheinlich haben wir da den neuen Eddy Merckx», lobte Rekord-Weltmeister Tony Martin, der mehr als eine Minute hinter Evenepoel gestoppt wurde.
Mit 19 Jahren und 243 Tagen ist der «Kannibale von Schepdaal», so sein Spitzname in Anlehnung an den Größten des Radsports, der jüngste Fahrer, der es in einem WM-Zeitfahren auf das Podium geschafft hat. Die Vergleiche mit Merckx scheinen berechtigt. Die belgische Rad-Ikone wurde 1964 im Alter von 19 Jahren Amateur-Weltmeister und sieht in Evenepoel seinen möglichen Nachfolger: «Vielleicht wird er noch besser als ich. Er scheint alles zu können.»
Evenepoel ist seiner Zeit voraus. Die U23-Klasse hat er mal eben übersprungen, nachdem er im vergangenen Jahr bei den Junioren die Konkurrenz demoralisiert hat. 23 Siege fuhr er ein, nur selten schaffte er es nicht auf einen der ersten drei Plätze. 2019 gab er sein Profidebüt beim Top-Rennstall Deceuninck-Quick Step. Man wolle ihn behutsam aufbauen, hatte Teamchef Patrick Lefevere angekündigt. Evenepoel sah es ein bisschen anders: «Zum Siegen ist es nie zu früh.»
Gesagt, getan: Schon im Mai holte er seinen ersten Profisieg, seit Sommer nahm seine Entwicklung rasant Fahrt auf. Evenepoel gewann die hochkarätig besetzte Clasica San Sebastian und verblüffte mit einer 100-Kilometer-Attacke bei der Deutschland-Tour die gesamte Konkurrenz. Nebenbei holte er sich den EM-Titel im Einzelzeitfahren, ehe er nun bei der WM groß auftrumpfte. «Beeindruckend», fand es Weltmeister Rohan Dennis: «Ich hoffe, er kann noch ein bisschen auf den WM-Titel warten.» Der Jungstar gab kess die Antwort: «Nein, ich komme nächstes Jahr wieder.»
Evenepoel hat die Radsport-Gene im Blut. Sein Vater Patrick war in den 90er Jahren selbst Profi bei Collstrop. Umso verwunderlicher, dass sie ihren Sohn im Fußballverein anmeldeten. «Eigentlich habe ich mich für Fußball gar nicht interessiert. Im TV haben wir jeden Sonntag Radsport geguckt», berichtet der Jungstar. Trotzdem schien sein Weg im Fußball vorgezeichnet, unter anderem spielte er für die PSV Eindhoven und dem RSC Anderlecht. Sogar einen Profivertrag hatte er schon unterzeichnet. Als er jedoch oftmals auf der Bank saß, machte er Schluss und ging zum Radsport. Eine gute Entscheidung, womöglich wäre sonst ein Jahrhunderttalent verloren gegangen.
(dpa)