Schramberg – Die Szene könnte nicht idyllischer sein: Es ist früh am Morgen, die Sonne blickt zurückhaltend durch die Baumwipfel am Waldrand, außer Vogelgezwitscher ist nichts zu hören. Dann klingt leise Flötenmelodie aus einem Tablet, das auf einer Wiese liegt. Darum stehen im Kreis sieben Frauen.
Sie recken die Arme in die Höhe und wiegen sich zum Takt des Liedes. Es sieht unbeschwert aus und ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Und genau das soll es sein: Eine Atempause im anstrengenden Alltag. Denn jede der Frauen betreut Zuhause einen Menschen mit Demenz. 24 Stunden lang, jeden Tag in der Woche. «Manchmal ist es zum Davonlaufen», sagt Erika.
Auszeit im Feriendorf Eckenhof in Schramberg
Die 82-Jährige ist eine der Teilnehmerinnen, die an diesem Morgen zur Musik tanzen. Gemeinsam mit ihrem vier Jahre älteren Ehemann ist sie für eine Woche Gast im Feriendorf Eckenhof in Schramberg (Kreis Rottweil). «Urlaub für Dich und mich» heißt die
Auszeit, die sich an Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen richtet. Organisiert wird sie vom Familienerholungswerk der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg, der Stiftung Innovation und Pflege, den Pflegestützpunkten sowie den Anbietern vor Ort.
Die Urlaube seien grundsätzlich für alle offen, sagt Michaela Katz von der Stiftung Innovation und Pflege, die während der Auszeit für die Versorgung durch das Pflegepersonal zuständig ist. Allerdings müssten die Teilnehmer noch mobil sein und beispielsweise den Weg vom Gäste- zum Haupthaus bewältigen können. Zudem dürften die Menschen mit Demenz keine Tendenz zum Weglaufen haben. Ein Fragebogen helfe den Pflegern vorab, die Situation der Urlauber einzuschätzen.
Betreuung vor Ort
Die Gruppen werden mit maximal acht Paaren bewusst klein gehalten. Dadurch habe der Urlaub einen sehr familiären Rahmen, sagt Katz. «Ich begleite den Urlaub schon von Anfang an und bin immer wieder beeindruckt, wie viel positive Energie vor allem die pflegenden Angehörigen mitnehmen können. Schön ist, was sich für Freundschaften bilden und wie viele zu «Wiederholungstätern» werden, wenn es der Gesundheitszustand erlaubt.» Auch für Erika ist der Austausch mit anderen sehr wichtig, wie sie sagt.
Die Betroffenen werden vor Ort betreut, während die Angehörigen Zeit für eigene Aktivitäten haben – zum Beispiel Ausflüge unternehmen oder auch einfach einmal selbst ausspannen können. Erika und ihr Mann haben den Tipp für den Urlaub von einem befreundeten Ehepaar bekommen. Inzwischen sind sie schon zum dritten Mal dabei. «Es ist zauberhaft», sagt sie. «Allerdings spüren wir von Jahr zu Jahr, wie die Krankheit fortschreitet. Dieses Mal wird wohl das letzte Mal sein.»
Entlastung für Angehörige
Die Diagnose Alzheimer habe ihr Mann vor vier Jahren bekommen, sagt Erika, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte. «Am Anfang habe ich mich hilflos gefühlt und auch überfordert.» Ihr Mann dagegen habe die Krankheit bis heute nicht so recht akzeptiert. «Er sagt immer: Ich bin nur vergesslich. Manchmal antworte ich: Bei mir geht es auch schon los. Und dann lachen wir zusammen.» Zuhause hilft dem Ehepaar eine Pflegekraft, die rund um die Uhr bei ihnen ist. «Wir sind dankbar, dass wir sie haben», sagt Erika. «Ohne sie wären wir beide schon im Pflegeheim.»
Wenn man der 82-Jährigen zuhört, kann man nur ahnen, wie sehr die Situation auch sie fordert. Erika sitzt in einem kleinen Holzhäuschen auf dem Gelände des Feriendorfes, unweit der Gruppe, in der ihr Mann gerade betreut wird. Sie lacht viel und gerne, wenn sie spricht – und aus ihren Worten kann man die Zuneigung und den Respekt für ihren Partner deutlich heraushören. Er sei Optimist, sagt sie, die selbst Zuversicht ausstrahlt. Und trotzdem gebe es auch schwere Tage – oder auch Momente, in denen ihr Mann unbedingt seinen Kopf durchsetzen wolle. «Aber am Abend versöhnen wir uns und sind froh, dass wir einander haben.»
Ihr Mann lebe inzwischen fast nur noch in der Vergangenheit. «Wir schauen fast täglich zusammen Fotoalben an», sagt Erika. «Und dann sagen wir: Meine Güte, war unser Leben glücklich. Jetzt ist es ein bisschen anders, aber das gehört auch dazu.» Ihr Mann erinnere sich vor allem an die guten Ereignisse. «Die schlimmen Sachen hat er vergessen.» Hat sich ihre Beziehung durch die Demenz verändert? «Ja», sagt Erika. Sie beschreibt das mithilfe eines Bildes: Es sei wie eine Rückwärtsrolle eines kleinen Kindes, das zunächst immer selbstständiger wird. Bei ihrem Mann laufe es nun eben in die entgegengesetzte Richtung. «Es ist ein anderes Verhältnis, eine andere Liebe – aber trotzdem gehören wir zusammen.»
(dpa)