Penzberg – Jochen Schümanns Mutter hatte den richtigen Instinkt. Als ihr Sohn sie einst bekniete, Radrennfahrer werden zu wollen, lehnte sie strikt ab – zu gefährlich. Also musste er etwas anderes suchen. Dabei half der Zufall.
Als Zwölfjähriger nahm er in seiner Schule in Berlin-Köpenick an einer Bootsbau-AG teil. Die Lehrer baten ihn, den selbst gebauten Sperrholz-Optimisten auf dem heimischen Müggelsee auszuprobieren. Daraus entwickelte sich eine Weltkarriere.
Deutschlands erfolgreichster Segler feiert am 8. Juni seinen 65. Geburtstag. Der Ehemann, Vater und Großvater blickt zurück auf ein halbes Jahrhundert erfolgreichen Leistungssport. Ans Aufhören denkt Schümann noch lange nicht. Der dreimalige Olympiasieger und zweimalige America’s-Cup-Gewinner ist als Profi weiter rund 100 Tage im Jahr auf dem Wasser. «Wenn Jochen etwas macht, dann macht er es zu 150 Prozent», sagt seine Ehefrau Cordula: «Er ist sehr zielgerichtet, arbeitet hart und ist sehr selbstkritisch.»
Schümanns Karriere verlief stetig. Nur einmal kam sie kurz ins Wanken: als die Mauer fiel. Für den damals 35-jährigen und seine beiden Soling-Mitsegler Bernd Jäkel und Thomas Flach bedeuteten die historischen Ereignisse eine extremere Wende, als sie jemals in einem Boot absolviert hatten.
«Für uns war es ein Kulturschock. Unsere Soling-Crew bestand ja aus drei Familienvätern mit Kindern. Das alles zusammenzuhalten war kompliziert. Wir fühlten uns nicht akzeptiert und gingen Klinken putzen», beschreibt Schümann den Neustart im wiedervereinigten Deutschland. Zunächst musste er einen Umweg nehmen und nahm einen Job in einer dänischen Segelmacherei aus.
Wie viele DDR-Sportler war auch Schümann vor der Wende als Staatsamateur zwar nicht reich, aber abgesichert. Dieses Netz zerriss mit dem Ende der DDR. Schümann und seine Wegbegleiter mussten lernen, alleine zurechtzukommen. Hilfreich waren die bereits errungenen Olympiasiege im Finn-Dinghy 1976 und im Soling 1988. Seine dritte Goldmedaille gewann er 1996 in Savannah für das gesamtdeutsche Team erneut im Soling.
Seine bitterste Segler-Stunde erlebte der 1,89 Meter große Steuermann bei der Niederlage im Olympia-Finale 2000 vor Sydney gegen seinen ehemaligen dänischen Arbeitgeber und Soling-Rivalen Jesper Bank. Für Schümann war Silber damals eine gewaltige Enttäuschung. Trotzdem wurde er noch in Sydney vom Schweizer America’s-Cup-Team Alinghi als Sportdirektor angeheuert – für den Berliner der Durchstart in die Profikarriere. Mit Alinghi gewann er 2003 und 2007 als erster und einziger deutscher Segler zweimal die berühmteste Silberkanne des internationalen Segelsports. Rennstallbesitzer Ernesto Bertarelli war begeistert. «Er ist das Rückgrat unseres Teams», schwärmte der Schweizer Milliardär.
Seinen 65. Geburtstag wird Schümann mit einem Tag Verspätung in Penzberg in Bayern mit Ehefrau Cordula und Freunden feiern. An seinem Ehrentag bestreitet er – wie so oft – eine Regatta. Penzberg ist seit 1992 zur Wahlheimat des Berliners geworden. Als leidenschaftlicher Bergwanderer hat er die neue Umgebung lieben gelernt. In seinem Haus befinden sich auch die drei Goldmedaillen. «Sie liegen als nettes Ensemble in einer von einem Freund gebauten Holzkiste bei den Socken», sagt er. Die Silbermedaille ist nicht dabei. Schümann: «Die liegt in einer anderen Schublade bei Sonstigem.»
(dpa)