Berlin – Olympiasieger Tommie Smith, der heute seinen 75. Geburtstag begeht, sorgte 1968 zusammen mit John Carlos mit einem spektakulären Protest für Aufsehen.
«Oh, say, can you see…» Als die amerikanische Hymne The Star-Spangled Banner erklingt und die US-Flagge aufsteigt, da senken sie die Köpfe, schließen ihre Augen und ballen die Hände in den schwarzen Handschuhen. Tommie Smith stößt die rechte Faust in den Abendhimmel über Mexiko-Stadt, John Carlos die linke.
Die Black-Power-Geste am 16. Oktober 1968 bei der Siegerehrung zum 200-Meter-Rennen der Olympischen Spiele zählt zu den markantesten Symbolen der Sportgeschichte und zu den spektakulärsten Protesten gegen Rassismus – auch über fünf Jahrzehnte später ist sie aktuell und bleibt unvergessen.
«Es war ein göttlicher Auftrag. Und ja: Ich bereue nichts!», sagte Smith in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Der Staffelstab ist an die jüngere Generation übergeben worden. Und ja: Ich würde es wieder tun. Und ich würde es jeden Tag tun.»
Die 80.000 Zuschauer im Estadio Olimpico waren verblüfft, viele geschockt: Was machen die beiden Afroamerikaner da? So eine Protestaktion auf dem Siegerpodest vor den Augen der Welt gab es bei Olympia nie zuvor. Das Publikum war sich nicht einig – in den Jubel mischten sich Pfiffe.
«Das schwarze Amerika wird verstehen, was wir heute getan haben», sagte Smith damals, und Carlos erklärte später einmal: «Viele Mexikaner haben unsere Botschaft verstanden, denn auch sie waren arme Leute. Aber die vielen Amerikaner waren sauer und meinten, wir würden Fahne und Land verachten. Sie haben gar nicht hinterfragt, warum wir das gemacht haben.»
Carlos hatte die Idee, Smith gehörten die Lederhandschuhe, sie teilten sich das Paar. Eine einfache Geste sollte es sein, die jeder versteht, erklärte Smith. Die schwarze Faust war das Symbol der Bürgerrechtsbewegung Black Power, die schwarzen Socken galten als Zeichen der Armut.
Smith war im 200-Meter-Finale trotz einer Muskelverletzung zur Goldmedaille in der Weltrekordzeit von 19,83 Sekunden gesprintet. Carlos gewann Bronze. Der Australier Peter Norman hatte ihn überraschend geschlagen und stand neben den beiden schwarzen US-Sprintern auf dem weißen Siegerpodest.
Das Internationale Olympische Komitee war empört, es sah in der Aktion eine klare Missachtung seiner Charta. Die Rebellen verließen das olympische Dorf, noch bevor sie vom eigenen NOK nach Hause geschickt werden konnten. Sie zogen sich den Zorn der Funktionäre zu, viele weiße US-Amerikaner hassten sie. Mit «Nigger» und «Kommunisten» wurden die zwei Weltklasseathleten beschimpft, die in den Stadien Großes für ihr Land geleistet hatten. Von Bürgerrechtlern und Schwarzen in den USA wurden sie dagegen als Helden gefeiert.
Smith wurde gesperrt, er lief nie wieder ein internationales Rennen, verlor den Job und wurde angefeindet. Doch der Mut hat sich gelohnt. «Die Welt hat sich seit 1968 sehr verändert. Die Menschen fangen an zu erkennen und zu verstehen, dass Gleichberechtigung und Einheit weltweit wichtig sind», meinte der Amerikaner.
Tommie C. Smith erblickte am 6. Juni 1944 im texanischen Clarksville das Licht der Welt – am D-Day, als die Alliierten in der Normandie landeten. Der Soziologe promovierte und wurde Professor, 27 Jahre lang arbeitete er als Lehrer und Leichtathletik-Trainer im Santa Monica College in Kalifornien.
Inzwischen ist der mehrfache Weltrekordler im aktiven Ruhestand, seit 2005 lebt er in Stone Mountain im US-Bundesstaat Georgia, eine halbe Autostunde nordöstlich der Olympia-Stadt Atlanta. Noch heute tourt Smith durch die halbe Welt, hält Vorträge in Europa und Asien, tritt in Seminaren und Expertenrunden im Ausland und an US-Colleges auf.
Zehn Jahre nach der Protestaktion wurde Smith in die Hall of Fame des nationalen Leichtathletik-Verbands USATF aufgenommen. Im Februar 2018 kam der Amerikaner nach Deutschland und bekam für sein Engagement gegen Rassismus den Dresden-Preis. Prominente Vorgänger: der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, Dirigent Daniel Barenboim und US-Kriegsfotograf James Nachtwey.
Der Journalist Günter Wallraff sagte in der Laudatio, keine olympische Siegerehrung davor und danach habe je diese Berühmtheit und Langzeitwirkung erreicht. «Das Bild vom Sieg der Kühnheit über die Verzagtheit wird zu einer Ikone der Freiheit und Gleichberechtigung – es hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.»
(dpa)