Melbourne – Angelique Kerber schaute nach ihrer klarsten Niederlage bei einem Grand-Slam-Turnier konsterniert drein und gestikulierte fragend.
Wie sie die Achtelfinal-Klatsche bei den Australian Open erlebt hatte, konnte die Wimbledonsiegerin schon beschreiben. Über womöglich tiefergehende Ursachen und die Wirkung des 0:6, 2:6 gegen die furchtlose und wie aufgedreht spielende Amerikanerin Danielle Collins wusste Kerber an diesem strahlend schönen Sommer-Sonntag in Melbourne noch nicht recht etwas zu sagen. «Ich habe alles versucht, was ich konnte, aber es war komplett nicht mein Tag», sagte Kerber zwei Tage nach ihrem 31. Geburtstag.
Auf dem quälend langen Heimflug haben die Australien-Siegerin von 2016 und ihr Team mit dem neuen Trainer Rainer Schüttler Gelegenheit, jene 56 Minuten zu ergründen, in denen die Weltranglisten-Zweite von der Nummer 35 der Welt an die Wand gespielt und immer wieder vorgeführt wurde. «Trotzdem werde ich Australien mit einem guten Gefühl verlassen, denn dieses Turnier ist für mich immer was Besonderes. Da wird kein Match, keine Niederlage was dran ändern», betonte Kerber, auch wenn sie in diesem Moment noch so wirkte, als sei dieses Gefühl gerade so weit weg wie die winterliche Heimat.
Verständlich, denn die 25-jährige Collins, die vor den Australian Open noch kein Match im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers gewonnen hatte, spielte noch viel stärker als bei ihrem unerwarteten Erstrunden-Erfolg über Julia Görges sechs Tage zuvor.
Mit ihren Grundschlägen jagte sie die hilflose Kerber über den Platz, griff deren diesmal wieder schwachen Aufschlag an, ging ans Netz und streute Stoppbälle ein – so wie beim ersten Matchball. «Ich habe ihr vom ersten Punkt an gezeigt, dass ich das Match diktiere», sagte sie.
Es wirkte, als seien die S-Bahn-Züge von der benachbarten Bahntrasse direkt durch die Margaret-Court-Arena und ständig über Kerber hinweg gerattert. «Dass diese amerikanische College-Spielerin unsere Beste quasi vom Platz fegt, hatte man so nicht erwartet», stellte auch der deutsche Herren-Tennis-Chef Boris Becker bei Eurosport fest.
Die deutsche Damen-Tennis-Chefin Barbara Rittner befand, die äußerst selbstbewusst auftretende Collins habe einen Traumtag erwischt. «Bei Angie ging nichts zusammen», sagte Rittner. «So einen Tag hast Du einmal im Jahr.» Der Zeitpunkt sei allerdings schlecht gewesen.
Für das Team Kerber/Schüttler sieht Rittner nach dem gelungenen Jahresauftakt beim Hopman Cup, dem Viertelfinale in Sydney und der bitteren Niederlage in Melbourne nun eine neue Situation. Der einstige Melbourne-Finalist Schüttler und sein Schützling müssten sich nun ein bisschen Zeit nehmen.
Schon 2017 war Kerber – damals als Titelverteidigerin und US-Open-Siegerin – in Melbourne fast ähnlich schlimm vorgeführt worden: ebenfalls im Achtelfinale, ebenfalls von der Nummer 35, auch damals ging in Coco Vandeweghe eine hart schlagende Amerikanerin unerbittlich zu Werke. Anschließend fiel Kerber in eine tiefe Krise, aus der sie sich im Vorjahr auf beeindruckende Weise befreite.
Mittlerweile gilt die Norddeutsche als gereift. «Ich glaube nicht, dass sie in so eine Spirale gerät wie vor zwei Jahren», betonte Rittner. Kerber sagte, sie habe alles für diese Australien-Reise gegeben, nun sei sie zu Ende: «Ich werde das akzeptieren, das Jahr ist noch lang.» Für die schwere erste Fed-Cup-Runde am 9. und 10. Februar in Braunschweig gegen Weißrussland hat Kerber abgesagt, die direkt danach folgenden Turniere in Doha und Dubai werden erste Fingerzeige geben, wie sie das Debakel vom Sonntag verdaut hat.
(dpa)