Gibraltar – Um halb drei als gefeierter Held ins Bett, um acht Uhr schon wieder bei der täglichen Arbeit gefordert. Durch die Fußball-Sensation von Zwergstaat Gibraltar hat sich das Leben von Kyle Goldwin quasi über Nacht geändert – bemerkt hat er das dann erst am Morgen.
«Ich bin zwar rechtzeitig losgegangen, aber auf dem Weg zur Arbeit wurde ich immer wieder angehalten und die Leute haben mich umarmt!», berichtete er vom Tag nach dem Sensations-Sieg gegen Liechtenstein im Oktober. Goldwin kam zu spät, doch sein Arbeitgeber dürfte ihm schnell verziehen haben: Schließlich hatte er dem krassen Außenseiter am Abend zuvor den unerwarteten Triumph beschert.
Der Staat Gibraltar hat lediglich cirka 35 000 Einwohner. Er war bisher weit weg von jedem großen Turnier und wurde erst 2013 in die UEFA aufgenommen. Doch haben die Kicker vom Affenfelsen etwas, was Ex-Weltmeister Deutschland derzeit fehlt: Siege in der Nations League und die Chance, sich über den Wettbewerb für die EM 2020 zu qualifizieren. «Gibraltar feiert einfach nur. Die Stimmung ist unglaublich. Die Leute reden über nichts anderes, jeder umarmt mich immer noch, mein Telefon findet keine Ruhe», sagte Goldwin in einem Interview auf fifa.com.
Er – der ehemalige Futsal-Keeper – trägt massiv zu dieser Begeisterung bei. Bei den sensationellen Siegen in der untersten Klasse der Nations League in Armenien (1:0) und gegen Liechtenstein (2:1) hielt der 33 Jahre alte Goldwin überragend. «Ich habe diese Woche Momente erlebt, die ich vielleicht in den nächsten Jahren in Worte fassen kann», sagte Kapitän Roy Chipolina nach der nicht für möglich gehaltenen Siegesserie im Oktober.
An diesem Freitag (20.45 Uhr/DAZN) soll der Trend im Heimspiel gegen Armenien anhalten. Die Rechnung für Gibraltar ist vielversprechend: Zwei weitere Siege in einer Woche und das britische Überseegebiet am südlichen Zipfel des spanischen Festlandes könnte ernsthaft von der EM 2020 träumen. Denn im März 2020 werden erstmals auch vier Teilnehmer über die neu gegründete Nations League ausgespielt, den ganz großen Außenseitern bietet dieser Modus neue Chancen.
Unter der Leitung des Uruguayers Julio Ribas ist Gibraltar sportlich gereift. Anders als andere Nationalteams kann das Team wöchentlich zusammen trainieren, die Basis des Erfolgs sind absoluter Wille und der Teamgeist. «Ich bin ein sehr leidenschaftlicher Mann. Fußball ist alles. Wenn ich krank oder verletzt bin, komme ich trotzdem. Ich gebe für mein Land und dieses Trikot einfach alles», sagte Keeper Goldwin, den sie sonst nur «Chino» nennen.
Eigentlich spielte er nie Fußball, sondern immer nur die Hallenvariante im kleineren Feld. Als Goldwin mit Ende 20 auf den Rasen wechselte, war es offenbar noch nicht zu spät, er steigerte sich bis zum Nationaltorhüter. Über sich selbst sagt er: «Ich arbeite Vollzeit für die Regierung in Gibraltar, bin Ehemann und Vater zweier wunderbarer Kinder, dann trainieren wir täglich mit dem Verein. Man kann sagen, dass ich drei Jobs habe.» Zum Fußball würde er bestimmt nie zu spät kommen.
(dpa)