Nyon – Stolz posierten Joachim Löw, Philipp Lahm und Reinhard Grindel mit der silbernen EM-Trophäe. Eher erleichtert als euphorisch bejubelte die deutsche Delegation in der UEFA-Zentrale am Genfer See den ersehnten Zuschlag für die Fußball-Europameisterschaft 2024.
Genau drei Monate nach dem historischen WM-Vorrundenaus hofft der Deutsche Fußball-Bund auf eine neue Euphorie durch das erste Heimturnier seit dem Sommermärchen 2006. «Wir sind jetzt sehr glücklich», betonte Bundestrainer Löw. «Wir haben es 2006 gesehen, wie emotional die Menschen in Deutschland sind, es war eine große Party. Wir werden alles tun, dass es 2024 genauso wird.»
Das Votum des Exekutivkomitees der Europäischen Fußball-Union UEFA zugunsten der favorisierten deutschen Bewerbung gegen den einzigen Kontrahenten Türkei fiel deutlicher aus als erwartet. Der DFB setzte sich mit zwölf zu vier Stimmen bei einer ungültigen Stimme durch. «Wir sind sehr gastfreundlich und offen, das wollen wir zeigen», sagte EM-Botschafter Lahm im UEFA-Auditorium, das den Charme einer muffigen Gesamtschulaula verströmt. «Aber wir haben vor allem auch Leute in Deutschland, die ein großes Fest mit allen in Europa feiern wollen.»
Als UEFA-Präsident Aleksander Ceferin um 15.21 Uhr den Zettel mit der Aufschrift «Germany» aus dem Umschlag zog, war die abfallende Anspannung in der 21-köpfigen deutschen Abordnung deutlich sichtbar. «Wenn man gewinnt, das habe ich als Sportler immer festgestellt, gibt es auch irgendjemanden, der verliert. Und man muss auch den Verlierern immer wieder Respekt zollen», erklärte Lahm die verhaltene Freude. DFB-Präsident Grindel ballte die Faust und umarmte Lahm, Löw zeigte in der ersten Reihe kaum eine Regung. «Ich bedanke mich sehr für das Vertrauen. Ich spüre Verantwortung», sagte Grindel. «Wir werden ab morgen alles dafür tun, den Erwartungen gerecht zu werden.»
Den türkischen Mitbewerber sprachen Grindel und Lahm zunächst auf der Bühne des UEFA-Auditoriums nicht an, äußerten aber anschließend ihren Respekt. «Jede demokratische Entscheidung ist die richtige Entscheidung», sagte UEFA-Präsident Ceferin zur Wahl. «Wir hatten zwei starke Bewerbungen.»
In einem Einspieler der UEFA kurz vor dem Zuschlag durften DFB-Direktor Oliver Bierhoff und Frauen-Bundestrainer Horst Hrubesch im Auditorium nochmal ihre Siegtore der Europameisterschaften 1996 und 1980 bestaunen. Per Werbevideo präsentierte der DFB den Delegierten auch Legende Uwe Seeler, der von Lahm mit einer Virtual-Reality-Brille schon einmal einen Einblick in die Stimmung beim EM-Finale am 14. Juli 2024 in Berlin nehmen durfte.
Als Spielorte beim ersten großen Heim-Turnier seit der WM 2006 sind Berlin, München, Düsseldorf, Stuttgart, Köln, Hamburg, Leipzig, Dortmund, Gelsenkirchen und Frankfurt vorgesehen. Das Olympiastadion in der Hauptstadt mit einer Kapazität von 70 033 Zuschauern ist der logische Ausrichter für das Finale. Bei der Multi-Nationen-EM 2020, die in zwölf Ländern stattfindet, werden drei Gruppenspiele und ein Viertelfinale in München ausgetragen. Deutschland richtet zum zweiten Mal nach 1988 eine EM alleine aus. Als Gastgeber muss sich Deutschland nach aktuellem Planungsstand voraussichtlich nicht für das Turnier qualifizieren. Die genauen Kriterien sind noch nicht festgelegt. Für Löw spielt das ohnehin keine Rolle: «Für eine EM mit 24 Mannschaften werden wir uns immer qualifizieren», sagte er.
Nach dem Scheitern der Ex-Weltmeister in Russland durfte der DFB damit zumindest auf dem fußballpolitischen Parkett wieder einen wichtigen Sieg feiern. Und auch für den zuletzt unter anderem durch die Affäre um Mesut Özil angeschlagenen DFB-Präsidenten Grindel stellt der Zuschlag vorerst einen wichtigen Befreiungsschlag dar. «Ich habe gekämpft, aber nicht für mich, sondern für den DFB, das große Ziel», sagte der Verbandschef auf seine persönliche Situation angesprochen. «Ich werde mich jetzt an die Sachthemen machen, wie das auch unsere Landesverbandspräsidenten und die Bundesliga erwarten. Die finden nämlich die Personaldiskussion völlig überflüssig und wollen, dass das aufhört.»
Ehrenspielführer Lahm ist für das Turnier fest als Organisationschef eingeplant. Zu seiner konkreten Rolle wollte sich der Ex-Bayernspieler aber noch nicht äußern, dies müsse man «jetzt noch detailliert besprechen».
Der DFB punktete in seiner Bewerbung vor allem mit den vorhandenen Stadien sowie der bestehenden Infrastruktur und wirtschaftlicher Stabilität. Der weiterhin nicht komplett aufgeklärte Skandal um die WM 2006 spielte offensichtlich keine größere Rolle bei der Mehrheit der Wahlleute.
Der türkische Mitbewerber hatte trotz der Zusicherung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vor allem für das fehlende Menschenrechtskonzept und aufgrund finanzieller Risiken schlechte Bewertungen durch die UEFA-Prüfer kassiert. Die Türkei scheiterte damit wie zuletzt bei den vergeblichen Anläufen für die EM 2008, 2012 und 2016.
Der türkische Sportminister reagierte enttäuscht auf die EM-Vergabe an den Konkurrenten Deutschland. Das sei «traurig» für die UEFA und die Europameisterschaft, sagte Mehmet Muharrem Kasapoglu vor türkischen Medien. Die Türkei habe eine starke Bewerbung vorgelegt und besitze neue Stadien. «Wir haben als Land nichts verloren.»
(dpa)