St. Petersburg – Er ist einer der Größten seiner Zunft, zu den Längsten gehört er sowieso, und eine große Klappe hat er auch noch: Alles an Thibaut Courtois scheint ungewöhnlich ausgeprägt. Deshalb hat der belgische Nationaltorhüter bei dieser WM nahezu täglich für Schlagzeilen gesorgt.
Durch sportliche Leistung, aber auch durch Läster-Attacken gegen den angeblich «Alibi-Fußball» spielenden Finalisten Frankreich oder den seiner Meinung nach zu kleinen englischen Kollegen Jordan Pickford, auf den er im Spiel um Platz drei erneut treffen wird.
2013 stand Courtois aber auch im Mittelpunkt des größten teaminternen Skandals dieser belgischen Mannschaft, der den Zusammenhalt der Goldenen Generation durchaus gefährdete. Mitspieler Kevin De Bruyne verriet in seiner Biografie, dass Courtois eine Affäre mit De Bruynes damaliger Freundin hatte. Und dass er auf Nachfrage des damaligen Trainers Marc Wilmots für einen Verbleib des Torhüters im Nationalteam plädiert habe.
«Obwohl ich immer noch nicht glauben kann, was Courtois getan hat, arbeiten wir weiterhin professionell zusammen», schrieb der frühere Bremer und Wolfsburger: «Der Trainer fragte mich, ob er das Team verlassen soll. Ich glaube nicht, dass ich das Recht hatte, zu sagen, dass er nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen darf, weil er etwas falsch gemacht hat. Er bleibt natürlich ein guter Torhüter. Also sagte ich, dass er bleiben könnte.»
Courtois und De Bruyne spielen auch fünf Jahre später noch zusammen im Nationalteam. Die beiden waren bei der WM in Russland zusammen mit Eden Hazard die stärksten Belgier und hatten großen Anteil am Einzug ins Halbfinale. Doch abseits des Feldes könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während De Bruyne, inzwischen längst mit einer anderen Frau verheiratet und Vater, leise und schüchtern daherkommt, ist Courtois der absolute Lautsprecher des Teams.
Als gefragter Gesprächspartner vor und nach jedem Spiel geht der 1,99 Meter große Keeper des FC Chelsea, dessen Schwester Valérie in der Saison 2016/17 für den Volleyball-Bundesligisten Dresdner SC spielte, keiner Frage aus dem Weg. Er gibt dabei erfreulich wenige Phrasen von sich und eckt dadurch eben auch mal kräftig an.
Nach dem 1:0 gegen England in der Vorrunde spottete er über den Kollegen Pickford. «Ich hätte ihn gehalten», hatte Courtois behauptet: «Er ist eben zehn Zentimeter kleiner als ich. Er hatte zu viel zu tun, seine Beine in die Luft zu werfen.» Nachdem Pickford im Achtelfinale gegen Kolumbien zum Helden im Elfmeterschießen wurde, sagte sein Trainer Gareth Southgate ironisch: «Ich bin überrascht, wie er das mit seiner Körpergröße geschafft hat.»
Nach der 0:1-Niederlage im Halbfinale ließ Courtois seinen Frust gleich am ganzen gegnerischen Team ab. «Frankreich spielt Anti-Fußball», schimpfte der 26-Jährige: «Ich wäre lieber gegen Brasilien rausgeflogen. Die wollten wenigstens Fußball spielen.» Dass die Franzosen im Finale stehen, sei «schlecht für den Fußball».
Wer so forsch ist, muss auch Leistung zeigen. Und das tut Courtois unbestritten. Als er in der Nachspielzeit des Viertelfinals gegen Brasilien (2:1) einen Schuss von Neymar aus dem Winkel fischte, bejubelte ZDF-Experte Oliver Kahn ungewohnt euphorisch «die Überhand» und adelte Courtois zum besten Torhüter der WM. Und Brasiliens Nationalcoach Tite antwortete auf die Frage, ob Hazard oder De Bruyne entscheidend für das Aus des Rekordweltmeisters gewesen sei: «Für mich hat Courtois den Ausschlag gegeben.»
(dpa)