Moskau – Bei der Überraschungs-WM glänzen auch auf der Torwart-Position neue Stars. Manuel Neuer sonnt sich längst im Urlaub, Iker Casillas ist in Nationalteam-Rente und Gianluigi Buffon startet sein neues Abenteuer bei Paris Saint-Germain.
Erstmals seit 14 Jahren bei Welt- oder Europameisterschaften steht damit keiner der drei überragenden Keeper im Halbfinale. Doch das verbliebene Quartett beim Turnier in Russland lässt die langjährigen Dominatoren vergessen: Jeder der vier hatte bislang entscheidenden Anteil daran, dass es ihre Teams vor den Duellen England gegen Kroatien und Belgien gegen Frankreich bis ins große Endspiel von Moskau schaffen können.
Jordan Pickford (24 Jahre): 5 Spiele/480 Minuten/10 gehaltene Bälle/71,4 Prozent Quote gehaltener Bälle
Englands Torwart kann nicht nur Elfmeterschießen. Nach seiner Heldentat beim ersten gewonnenen WM-Duell der Three Lions vom Punkt rettete Pickford auch im Viertelfinale mit seinen Paraden den Sieg gegen Schweden – und konnte hinterher über sich selbst schmunzeln. «Ich war etwas sauer», berichtete er mit verbundener Hand, weil er sich während des Spiels selbst aufs Knie geschlagen hatte. «Aber ich werd’s überleben.»
Nach Jahren der Peinlichkeiten um David James, Spitzname «Calamity» (Unglück), Robert Green, Scott Carson oder Joe Hart, der erst bei der Euro 2016 gegen Island daneben griff, hat England seit langem wieder die Hoffnung, einen würdigen Nachfolger für Weltmeister Gordon Banks gefunden zu haben. Bei einer Körpergröße von nur 1,85 Meter spielt Pickford aktiv mit, versucht Angriffe zu initiieren. «Er ist für mich ein Prototyp, wie ein moderner Torwart sein sollte», sagt Englands Coach Gareth Southgate über den Schlussmann des FC Everton.
Danijel Subasic (33): 4 Spiele/420 Minuten/12 gehaltene Bälle/80 Prozent Quote gehaltener Bälle
Den WM-Rekord von Toni Schumacher hat sich Kroatiens Keeper bereits gesichert. Wie der deutsche Vize-Weltmeister 1982 und 1986 und Argentiniens Sergio Goycochea 1990 wehrte Subasic in diesem Turnier vier Versuche im Elfmeterschießen ab. Im Viertelfinale gegen Gastgeber Russland hielt der Torwart vom AS Monaco trotz einer Oberschenkelverletzung durch und parierte angeschlagen den versuchten Lupfer von Fjodor Smolow. «Er konnte weitermachen und das war das Wichtigste für uns», sagte Kroatiens Superstar Luka Modric.
Über das emotionale Gedenken an seinen toten Jugendfreund Hvroje Custic mochte Subasic zuletzt nicht mehr reden. «Ihr wisst, was mit ihm passiert ist», sagte er. Subasic hatte nach dem Achtelfinale ein Shirt mit der Aufschrift «Forever», der Nummer 24 und einem Foto seines 2008 gestorbenen ehemaligen Mitspielers präsentiert. Dieses Shirt trägt er seit zehn Jahren bei jedem Fußballspiel. Von der erbarmungslosen FIFA bekam er eine Verwarnung.
Hugo Lloris (31): 4 Spiele/360 Minuten/8 gehaltene Bälle/66,7 Prozent Quote gehaltener Bälle
Um Frankreichs Keeper zu beschreiben, ist vor allem ein Wort angemessen: solide. Im Umgang mit Mitspielern kein Lautsprecher, in Pressekonferenzen eher bieder – und auch zwischen den Pfosten agiert der Schlussmann häufig ohne große Ausreißer.
Vor der WM gab es nach Patzern für die Tottenham Hotspur öffentlich leise Zweifel an Lloris. Doch im Turnier hält er wieder einmal – solide. Beim 2:0 im Viertelfinale gegen Uruguay hatte aber auch der Kapitän seinen herausragenden Moment, als er den Kopfball von Martin Cáceres parierte. «Der beste ist Hugo», sagte Stürmer Olivier Giroud, als er sich zwischen seinem Nationaltorwart und Chelsea-Teamkollege Thibaut Courtois von Belgien entscheiden sollte. «Auf jeden Fall haben es beide verdient, zum besten Keeper gewählt zu werden.»
Thibaut Courtois (26): 5 Spiele/450 Minuten/18 gehaltene Bälle/78,3 Prozent Quote gehaltener Bälle
Nach seiner eigenen Glanzleistung gegen Brasilien lag Belgiens Keeper eine Klarstellung in Richtung von Jordan Pickford am Herzen. «Ich habe mich nie über seine Größe lustig gemacht», sagte der 14 Zentimeter größere Courtois. Aber auch die Entschuldigung geriet etwas vergiftet: «Ich habe nur gesagt, dass ich den Ball gehalten hätte, weil ich größer bin als er.» Gemeint war das Tor beim 1:0 in der Vorrunde zwischen Belgien und England. Courtois hatte in diesem Spiel das bessere Ende für sich – und überzeugt auch ansonsten.
Brasilien verzweifelte am Chelsea-Keeper, der alleine acht Versuche vereitelte. «Ich denke, dass ich dieses Jahr zu Unrecht kritisiert wurde», sagte der an der Grenze zum Arroganten selbstbewusste Schlussmann. «Jetzt habe ich gezeigt, warum ich hier bin.»
(dpa)