«Neymals» WM-Bilanz: Verpasster Titel und ramponierter Ruf

Kasan – So theatralisch er sich durch das Turnier gestikuliert hatte, so unspektakulär war sein Abgang. Um 1.19 Uhr, rund zweieinhalb Stunden nach der 1:2 (0:2)-Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Belgien, kam Neymar aus Brasiliens Kabine.

Die rechte Hand in der Hosentasche vergraben und den Blick auf den Boden gerichtet, hatte er nur ein Ziel: Einfach weg! Leicht kopfschüttelnd, ansonsten nahezu reglos lief er an den rufenden Journalisten vorbei. Erklärungsnot sah er keine. Und erst recht hatte er keine Lust, einen Einblick in seine Gefühlswelt zuzulassen. Zum zweiten Mal war sein Traum vom WM-Pokal vorzeitig geplatzt, zum zweiten Mal hatte eine Verletzung Anteil dran. Nur diesmal hatte der 222-Millionen-Mann vor aller Welt auch noch seinen Ruf ramponiert.

Von dieser WM wird nämlich Neymar, der Schwalbenkönig in Erinnerung bleiben. Der Schauspieler. Der Dauer-Lamentierer mit der albernen Spaghetti-Frisur. Und nicht der Ausnahme-Fußballer, der seine Fähigkeiten zumindest angedeutet hatte. Trotzdem war er für die spanische «Mundo Deportivo» der «Neymal» – «mal» heißt schlecht.

Zwei Tore, zwei Vorlagen in fünf Spielen – das ist erst einmal keine schlechte Bilanz für einen Spieler, der die letzten drei Monate vor dem Turnier verletzt war. «Bei 100 Prozent konnte er nicht sein», sagte Nationaltrainer Tite: «Aber er hat sich mit seiner Einstellung und seinen guten körperlichen Voraussetzungen schneller in Form gebracht, als ich es erwarten konnte.» Bei der WM vor vier Jahren im eigenen Land hatte sich Neymar einen Lendenwirbelbruch zugezogen und das 1:7-Debakel im Halbfinale gegen Deutschland hilflos als Zuschauer verfolgen müssen.

Ganz so ernüchternd war Brasiliens Ausscheiden diesmal nicht. Dafür kam es sogar noch eine Runde früher. Neymar ist erst 26, im Gegensatz zu Lionel Messi (31) oder Cristiano Ronaldo (33) bleibt ihm wohl noch mindestens eine weitere Chance. Doch erst einmal wird sein neuer Trainer Thomas Tuchel bei Paris Saint-Germain einige Aufbauarbeit leisten müssen. Denn dass er statt der so gewünschten Anerkennung viel Hohn und Spott abbekam, wird nicht spurlos an Neymar vorbeigehen. Und sicher auch in den Liga-Alltag hineinwirken.

Auch gegen Belgien hatte Neymar in zwei Fällen auf peinliche Art und Weise versucht, einen Elfmeter zu schinden. Immerhin plagte ihn nach dem ersten Versuch das schlechte Gewissen, als er Schiedsrichter Milorad Mazic bat, nicht die Video-Assistenten um Felix Zwayer und Mark Borsch zu befragen. Sonst hätte ihm eine zweite Gelbe Karte gedroht und eine Sperre im möglichen Halbfinale. Trotz des schnellen Aufspringens in dieser Szene: Zu den 14 Minuten, die er schon in den ersten vier Spielen laut Berechnungen des Schweizer Nachrichtenportals RTS auf dem Boden liegend verbracht hatte, kam nochmal ein bisschen was dazu.

In den sozialen Medien wird der teuerste Fußballer der Welt seit Tagen verspottet. In zahlreichen Videos wurde sein theatralisches Rollen aus dem Spiel in Mexiko eingebaut. Im neusten rollt er auf dem Gepäckband nach Hause. In der Schweiz übten die Nachwuchskicker des FC Widnau im Training Neymar-Schwalben. Die Satire-Seite «Der Postillon» kündigte an, das Spiel gegen Belgien werde wegen Neymars Theater-Einlagen auf Arte gezeigt. Worauf der Kultursender antwortete, extra dafür die Tierdoku «Die schönsten Schwalben Russlands» aus dem Programm zu nehmen.

Die Wut vieler Ex-Stars war ernst. «Man spottet über ihn – und das zurecht», sagte Lothar Matthäus. «Ich hatte Sorge, er stirbt», meinte Dänemarks früherer Weltklasse-Keeper Peter Schmeichel. «Es nervt, dass er jedes Mal über den Rasen rollt, als sei er schwer misshandelt worden», schimpfte Englands Ex-Torjäger Alan Shearer.

Nach Russland war Neymar gekommen, um das «jogo bonito», das schöne brasilianische Spiel zu zelebrieren. Er ging als Symbolbild für vieles Schlechte im Fußball.


(dpa)

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