Pyeongchang – Manchmal kommt Marco Sturm sein eigener Erfolg surreal vor. «Halbfinale – allein das Wort – das ist unglaublich», stammelte der Eishockey-Bundestrainer nach dem Wunder von Pyeongchang: Außenseiter Deutschland kämpft bei Olympia erstmals seit 42 Jahren wieder um Medaillen.
Dass die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) zum ersten Mal überhaupt bei Winterspielen in einem Halbfinale steht und die Bronze-Medaille von 1976 sogar noch toppen kann, wird vor allem an einer Person festgemacht: Dem deutschen NHL-Rekordspieler Sturm.
«Was die Mannschaft leistet, wie Marco Sturm die Fäden zusammenhält – das ist überragend», lobte DEB-Präsident Franz Reindl nach dem historischen 4:3 nach Verlängerung im Viertelfinale – zum ersten Mal besiegte ein deutsches Team bei Winterspielen Schweden. Reindl traut dem Team gegen Olympiasieger Kanada am Freitag (13.10 Uhr MEZ/ARD und Eurosport) die nächste Sensation zu: «Das wird der Marco Sturm schon machen. Der kennt sich ja aus, er weiß, wie es geht.»
Als Reindl den als Trainer völlig unerfahrenen, als Spieler aber überragenden Sturm 2015 im Alter von gerade einmal 36 Jahren zum Nachfolger des glücklosen Pat Cortina machte, staunten selbst gestandene Nationalspieler. Reindl benannte Sturm nicht einfach nur zum Bundestrainer, sondern auch zum Generalmanager. Nach 1006 NHL-Spielen für San Jose, Boston, Washington, Los Angeles, Vancouver und Florida wurde Sturm das Gesicht des deutschen Eishockeys.
Nun, knapp drei Jahre später, staunt keiner mehr. Die Spieler überschlagen sich mit Lob. «Er kann alle Spieler motivieren und begeistern. Man merkt seinen Ehrgeiz. Genau so etwas brauchen wir», sagte etwa Patrick Reimer, Schütze des Siegtores gegen Schweden in der Verlängerung. Inzwischen ist klar: Reindls Schachzug war genial.
Fast alles, was Sturm (39) anfasst, funktioniert. Dazu kommt der Ex-Stürmer in der Öffentlichkeit bestens an, ist stets gut gelaunt, geduldig und trotz seiner in den NHL verdienten Millionen immer bescheiden. Sturm gewinnt Sympathien für das noch nicht vor allzu langer Zeit arg ramponierte DEB-Image. Die Qualifikation für Sotschi 2014 hatte das DEB-Team unter Cortina verspielt und spielte von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene Weltmeisterschaften. Sturm änderte dies nachhaltig, auch dank seines konsequenten Weges mit NHL-Profis.
Schon bei den WM-Turnieren 2016 und 2017 führte er Deutschland unter die Top Acht. Die Steigerung nun bei Olympia gelang Sturm nun aber völlig ohne Unterstützung aus Nordamerika. Die NHL hatte sich erstmals seit 1994 geweigert, die Saison zu unterbrechen. Sturm haderte selbst etwas mit dem Kader, den er ausschließlich aus der von ihm auch kritisierten Deutschen Eishockey Liga (DEL) rekrutierte.
Einige Spieler im Aufgebot hatten in der Liga bislang nicht die beste Saison. Dennoch nahm Sturm Routiniers mit, die das System kennen und auf die er sich verlassen kann. Der Teamgeist gilt als überragend. «Wir sind eine große Familie», sagte Sturm. Goalie Danny aus den Birken meinte: «Bei uns gibt es keine Heros. Wir alle sind der Hero. Der Teamgeist ist manchmal mehr wert als individuelles Talent.»
Reindl gab ehrlich zu, dass er diesen Erfolg nicht für möglich gehalten hat. «Ich habe nicht geglaubt, dass wir auf dem Niveau so mithalten können. Wir haben natürlich auch das Glück gehabt, das uns früher gefehlt hat», sagte Reindl (63). Dreimal am Stück siegte Deutschland in Pyeongchang im Penaltyschießen oder der Verlängerung.
Neben dem nötigen Glück hat Sturm auch einen neuen Geist verankert. Die Spieler reißen sich wieder darum, für Deutschland zu spielen. Unter Cortina hatte es noch weit über 20 Absagen für die jährlich stattfindenden WM-Turniere gegeben. «Es sind noch einige, die mit ihm gespielt haben. Ich glaube, dass er die Spieler besser kennt und weiß, wie er mit ihnen umgehen muss», sagte aus den Birken: «Er ist ein ruhiger Typ, der keinen großen Stress auf die Mannschaft ausübt.»
Den machte Sturm nur dem DEB. Seine Vertragsverlängerung galt als Formsache. Beide Seiten wollten. Perfekt wurde der neue Kontrakt bis 2022 indes erst kurz vor Olympia, als der Verband auch alle Wünsche erfüllen konnte, die Sturm einforderte, um weiterhin Erfolg zu haben.
(dpa)