Pyeongchang – Als Olympia-Touristen waren sie bislang vor allem Medaillen-Glücksbringer, jetzt greifen Deutschlands Eishockeyspieler beim Winterspiele-Comeback endlich selbst ein.
«Bislang konnten wir genießen, jetzt schalten wir um auf Business», sagte der frühere NHL-Verteidiger Christian Ehrhoff am Dienstag. Knapp eine Woche nach der Ankunft in Südkorea steht in der Nacht auf Donnerstag deutscher Zeit gegen Finnland (4.10 Uhr/ARD und Eurosport) der erste Olympia-Auftritt seit acht Jahren an. «Auf Olympia liegt nochmal ein ganz anderer Fokus als auf einer WM. Dementsprechend heiß sind wir», sagte Torjäger Patrick Reimer.
Die ersten Tage waren neben der Akklimatisierung vor allem dem Erleben der Faszination Olympia vorbehalten. 22 der 25 Spieler in Pyeongchang sind zum ersten Mal bei Winterspielen, da Deutschland unter dem damaligen Bundestrainer Pat Cortina die Qualifikation für Sotschi 2014 verspielt hatte. In der trainingsfreien Zeit fieberte die Auswahl vor allem beim Biathlon und Skispringen mit und wurde vom Team Deutschland als «echter Glücksbringer» gefeiert: Auf Anhieb erlebte das Eishockey-Team beide Olympiasiege von Laura Dahlmeier und den Sprung zu Gold von Skispringer Andreas Wellinger. «Das war auch für uns eine gute Teambuilding-Maßnahme», sagte Bundestrainer Marco Sturm und berichtete von «Gänsehaut-Momenten» beim Biathlon.
Mit einem Schub Extra-Motivation tritt Deutschland nun gegen den Olympia-Dritten von 2014 an. «Wir sind nicht nur als Touristen hier. Wir wollen auch jedes Spiel gewinnen», sagte Reimer. Das wird gegen Finnland und am Freitag gegen Weltmeister Schweden (13.10 Uhr MEZ, Eurosport) schwer. «Wir haben uns immer so schwer gegen die Skandinavier getan, weil die strukturell so gut aufgestellt sind. Die ziehen das Ding durch und wir verlieren meistens immer die Geduld», sagte Bundestrainer Sturm. Ein Sieg bei Olympia gegen Finnland liegt 34 Jahre zurück, gegen Schweden gelang dieser noch nie. «Wir wollen aber eine Antwort auf die Vergangenheit geben», sagte Sturm.
Nicht nur wegen der komplizierten Gruppe mit den beiden Top-Nationen sowie Norwegen scheint Olympia die bislang größte Herausforderung für Sturm zu werden. Seit er 2015 die Nachfolge des glücklosen Cortina übernahm, ging es kontinuierlich aufwärts. Bei den WM-Turnieren 2016 und 2017 führte der deutsche NHL-Rekordprofi die DEB-Auswahl jeweils ins Viertelfinale und auch wieder zu Olympia. Dafür hatte er aber stets reichlich Unterstützung aus der NHL dabei. Darauf muss Sturm nun verzichten, da sich die weltweit beste Liga erstmals seit 1994 geweigert hat, die Saison für Olympia zu unterbrechen.
Das Problem haben zwar alle Nationen, doch trifft es Deutschland möglicherweise ungleich härter. «Schweden und Finnland verfügen immer noch über einen großen Spielerpool», sagte etwa Ehrhoff. Die skandinavischen Ligen sind im internationalen Vergleich stärker als die heimische Deutsche Eishockey Liga. Sturm wies schon im Vorfeld auf die beschränkte Auswahl an geeigneten Spielern aus der DEL hin.
Das wahrscheinlich größte Problem haben Deutschland und Sturm im Tor. Die Erfolge zuletzt lagen vor allem immer auch an den NHL-Keepern Thomas Greiss (New York Islanders) oder Philipp Grubauer (Washington). Das DEL-Trio Danny aus den Birken (München), Timo Pielmeier (Ingolstadt) und Dennis Endras (Mannheim) offenbarte in dieser Saison immer mal wieder auch schon Schwächen. «Alle drei sind bei ihren Vereinen nicht die klare Nummer eins», sagte selbst Sturm.
Gegen Finnland dürfte Meisterkeeper aus den Birken starten. Zweifel bleiben. Bei der Heim-WM im vergangenen Jahr verhinderten dessen Patzer eine bessere Vorrunden-Platzierung, als Greiss verletzt und Grubauer noch nicht verfügbar war. «Natürlich wird es kein Zuckerschlecken, aber ich glaube, dass wir mehr erreichen können, als die Leute vielleicht denken», sagte aus den Birken vor dem Turnierstart indes forsch. Selbst wenn der Turnierstart daneben geht, kann sich Deutschland nach der Vorrunde noch in einem Zwischenrundenspiel für das Viertelfinale qualifizieren. «Das muss das Ziel sein», sagte Allrounder Yannic Seidenberg.
(dpa)