Genf – Im Skandal um Russlands olympischen Dopingbetrug haben kurz vor Eröffnung der Winterspiele von Pyeongchang jetzt die höchsten Sportrichter das Wort.
Von Montag an stehen bei den Anhörungen von 39 russischen Athleten vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS in Genf die vom IOC verhängten lebenslangen Olympia-Sperren auf dem Prüfstand. Auch wenn das Internationale Olympische Komitee die Beweislast für ausreichend hält und seine Sanktionen gegen die Wintersport-Großmacht verteidigt, ist eine Aufhebung des Olympia-Banns für zahlreiche russische Medaillengewinner von Sotschi 2014 keineswegs ausgeschlossen.
Bis spätestens zum 2. Februar, genau eine Woche vor Eröffnung der Pyeongchang-Spiele, wollen die CAS-Richter ihre Entscheidung treffen. Die russische Seite geht voller Trotz und Zuversicht in die Genfer Verhandlungen, ein Eingeständnis der Doping-Schuld gibt es weiter nicht. Im Gegenteil: Das staatliche Ermittlungskomitee bekräftigte zuletzt erneut, die Beweise der IOC-Disziplinarkommission zu Manipulationen in Sotschi seien widerlegt.
Auch bei den betroffenen Weltverbänden bekommt das IOC bei seinen Sanktionen gegen einzelne Athleten Gegenwind. Rodler-Chefjurist Christian Krähe sagte mit Blick auf die aus seiner Sicht zu dünne Beweislast: «Ich frage mich, wie das IOC zu diesem Ergebnis kommen konnte.» Der Rodel-Weltverband FIL verzichtete daher auf Strafen gegen die vom IOC gesperrten Albert Demtschenko und Tatjana Iwanowa.
Der Bob- und Skeletonverband IBSF stellte die Verfahren gegen russische Athleten vorläufig ein. Im Eisschnelllauf sind die vom IOC als Dopingbetrüger verurteilten Russen ebenfalls noch dabei und erobern – wie am Wochenende in Erfurt Olga Fatkulina – weiter Podestplätze. «Für den Sport ist das überhaupt nicht gut», sagte der deutsche Cheftrainer Jan van Veen. Der Weltverband ISU will vor eigenen Maßnahmen den Spruch der CAS-Richter abwarten. Dagegen wurden sechs russische Langläufer um Sotschi-Olympiasieger Alexander Legkow vom Ski-Weltverband auch aus dem Weltcup verbannt.
Das IOC ist sich seiner Sache sicher. Die nach Ermittlungen der sogenannten Oswald-Kommission getroffenen Entscheidungen stützten sich auf Zeugenaussagen, die durch umfangreiche forensische Beweise bestätigt würden, hieß es vor den CAS-Anhörungen.
Viel wird nun wohl von der Überzeugungskraft des Kronzeugen Grigori Rodschenkow abhängen. Der frühere Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors, der nach seiner Flucht in die USA sein Wissen über den organisierten Sportbetrug preisgab, soll per Video oder Telefon zu den Verhandlungen zugeschaltet werden. «Er weiß, dass die Zukunft vieler sauberer Athleten auf der Kippe steht, denn ohne seine Aussage würden die Olympia-Sperren für russische Athleten sicherlich rückgängig gemacht werden», sagte Rodschenkows Anwalt Jim Walden der Deutschen Presse-Agentur.
Rodschenkows bisherige Aussagen waren Kern des Reports von Sonderermittler Richard McLaren, der das Manipulationssystem der Russen umfassend dokumentierte. Auf dieser Basis hatte das IOC in einer umstrittenen Entscheidung Russlands Nationales Olympisches Komitee bis mindestens zum Ende der Winterspiele im Februar suspendiert. In Pyeongchang dürfen nur vom IOC überprüfte russische Einzelsportler unter neutraler Flagge und ohne Hymne teilnehmen.
In Russland schwelt die Wut weiter, auch wenn Kremlchef Wladimir Putin mit einem Machtwort die Bedingungen des IOC akzeptiert hatte. Zuletzt kursierten Berichte, der russische Föderationsrat wolle auf Betreiben nationalistischer Politiker die für den Olympia-Ausschluss verantwortlichen Funktionäre der Welt-Anti-Doping-Agentur strafrechtlich belangen oder mit Sanktionen belegen.
(dpa)