Als Zocker in die Bundesliga: Clubs entdecken E-Sports

Stuttgart – Marcel Lutz wirkt müde. Der FIFA-Profi des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart kommt gerade von der Arbeit, er ist im letzten Jahr seiner Ausbildung zum Industriekaufmann.

«Manchmal muss ich mich zum Zocken zwingen, da geht es vielen E-Sportlern genau wie anderen Sportlern», gesteht der 20-Jährige. Kontinuität und Disziplin seien wichtig, sonst hänge man hinterher. Im Optimalfall müsste Lutz acht Stunden am Tag vor der Konsole hocken – schließlich bezahlt ihn der VfB für das Zocken in den Vereinsfarben. Er trainiert daher auch nach Feierabend noch an seiner X-Box. Die ablehnende Haltung verfliegt dann spätestens mit der Vorbereitung auf Turniere, Wettkämpfe gäben ihm das «beste Gefühl».

Lutz steht für einen kleinen Trend im deutschen Profi-Fußball. Nach eigenen Angaben stellte der Bundesligist VfL Wolfsburg bereits im Mai 2015 mit Benedikt «Salz0r» Saltzer einen professionellen FIFA-Spieler ein, im Jahr darauf verpflichtete der Verein zwei weitere Zocker. Im Mai 2016 entdeckte auch der FC Schalke 04 den digitalen Sport. Seither wird bei den Königsblauen neben FIFA auch das Multiplayer-Online-Spiel «League of Legends» gezockt.

Sogar in der 2. Liga kommt E-Sport langsam an. Erst vergangene Woche nahm der 1. FC Nürnberg zwei Gamer unter Vertrag. Bereits Mitte September war der VfL Bochum als erster Zweitligist in den Bereich eingestiegen. Abseits des Spitzenfußballs wächst das Interesse am Nischensport ebenfalls: An der Deutschen Sporthochschule Köln oder dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beispielsweise treten mehrköpfige Teams in Online-Wettkämpfen gegeneinander an.

Der VfB kam vergleichsweise spät erst Mitte Juli dieses Jahres dazu. Der Bereich E-Sports zeige ein großes Potenzial und rasantes Wachstum auf, hieß es in der Begründung zur Verpflichtung von Lutz und Erhan Kayman, der ebenfalls für die Schwaben zockt. Clubs wie der VfB versprechen sich vom neuen Geschäftsmodell vor allem eines: neue Einnahmequellen.

Schon jetzt gibt es im Internet eine große Fan-Gemeinde, die leidenschaftlich die Duelle per Live-Stream am Rechner zuhause verfolgt. Vor allem bei großen Turnieren wie Welt- oder Europameisterschaften ist das Interesse groß. Vorteil für einen Club wie den VfB: Lutz und Kayman werden dort in den eigens entworfenen VfB-Shirts auftreten, deren Ärmel schon jetzt die Logos von zwei Sponsoren zieren.

Lutz kommt aus Marbach am Neckar und steht bei der Agentur «Stark eSports» unter Vertrag. Nach Ausbildungsende könne er sich vorstellen, vollständig vom Zocken zu leben, sagt er. Wie viel er verdient, ist aber ein großes Geheimnis. Reicht es zum Leben? Ist es ein netter Nebenjob? Dazu sagen er und der Club nichts, lediglich, dass er ein fixes Gehalt bekommt. Unabhängig davon winken bei Turnieren hohe Preisgelder. Der Hauptgewinn des FIFA Interactive World Cup 2017 lag bei 200 000 US-Dollar.

Einer Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte nach wächst das Interesse an digitalen Sportwettkämpfen. «Bis 2018 wird sich E-Sports weltweit zu einem Milliardengeschäft entwickeln. Auch in Deutschland ist diese Tendenz zu beobachten», sagt der Leiter der Sport Business Gruppe bei Deloitte, Karsten Hollasch. Schätzungen zufolge könnte allein das deutsche Marktvolumen in weniger als drei Jahren etwa 130 Millionen Euro betragen – das entspräche einem durchschnittlichen Wachstum von mehr als 25 Prozent.

Generell begrüßt der eSport Verband Deutschland (ESVD) den Schritt der Bundesligisten, virtuellen Sport massentauglich zu machen. Das Spiel FIFA sei quasi der Einstieg in den E-Sport und einfach zu verstehen, sagt ESVD-Gründer Johannes Neuschmid. Kritik sieht er jedoch beim Thema Geld. Unbekanntere Teams könnten Probleme beim Aufstieg in die Profiliga haben, wenn Vereine mit mehr Kapital gute Spieler abwerben – ähnlich wie beim echten Fußball.

Der ESVD arbeite zudem viel mit Vereinen daran, Zockern die Bedeutung des «echten Sports» nahezubringen. «Ohne diesen wird man kein Profi-Gamer», betont Neuschmid. Synergien könnten geschaffen werden, wenn Sportvereine auch E-Sport anbieten und damit mehr Kinder und Jugendliche anlocken. Es sei aber enorm wichtig, dass Spieler nicht nur zocken: sondern auch rausgehen und sich fit halten.


(dpa)

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