Löws Appell an die Liga: «Nicht allzu viele Titel geholt»

Belfast – Eigentlich wollte Joachim Löw über dieses Thema kurz vor dem Showdown der Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation in Nordirland gar nicht sprechen. Eigentlich.

Die Frage nach der jüngsten Sixpack-Niederlage der Bundesligaclubs im Europapokal animierte den Bundestrainer dann aber doch im fernen Belfast zu einer mehrere Minuten dauernden, kritischen Analyse über Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Vereinsfußball. «Wenn man zurückgeht in diesem Jahrhundert, sieht man, dass die deutschen Clubs nicht allzu viele Titel geholt haben. Wenn jetzt jemand sagt, die Bundesliga ist die beste Liga überhaupt, dann sollte man sich hinterfragen.»

Rumms! Diese Worte saßen und jeder im «Ballroom» des Stormont Hotels von Belfast spürte, dass der Bundestrainer jetzt gerne noch viel, viel ausführlicher zu diesem Thema Stellung nehmen würde – und könnte. Während bei Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig, 1899 Hoffenheim, Hertha BSC und dem 1. FC Köln jeder eine Einzelerklärung für die eigene Schlappe im Europacup hatte, sieht Löw das große Ganze und findet die Lage «ein wenig alarmierend».

Löw weiß, so rosig die Situation des deutschen Fußballs dank der Erfolge der Nationalmannschaft erscheint, so kompliziert kann die mittel- und langfristige Verteidigung der Vormachtstellung sein. Denn Löw weiß auch, dass er als Bundestrainer von der Entwicklung der Spieler auf Vereinsebene abhängig ist. Daher die deutlichen Worte, die in der Liga sicher nicht mit Freude aufgenommen werden.

Als sich im Sommer nach dem Confed-Cup-Sieg von Löws Talente-Truppe und dem U21-Titel die internationale Fußballwelt vor dem DFB verneigte, war Löw auch schon zur Stelle gewesen. Die erfolgreiche Verteidigung des WM-Titels im kommenden Sommer in Russland ist sein Heiliger Grahl. Und dafür ist Weltklasse aus Löws Sicht das einzige Kriterium. «Wir müssen uns an Messis und Ronaldos, an Toni Kroos und, und, und orientieren. Sechs, sieben Nationen kann ich aufzählen, gespickt mit überragender Qualität», sagte Löw im Sommer.

In Spanien, England und Frankreich entdeckt Löw eine Vielzahl an Talenten. Sein Chefscout Urs Siegenthaler käme immer wieder mit spannenden Erkenntnissen auch aus Südamerika zurück. Es sei ein «Trugschluss», wenn man sage, in Deutschland gäbe es viele Talente und man müsse alles gewinnen. Europa-League-Niederlagen gegen Clubs aus Östersund, Rasgrad oder Belgrad können da verstörend wirken. «Klar, darüber mache ich mir nicht erst seit letzter Woche Gedanken», sagte Löw.

Die Langzeitanalyse gibt Löw recht. Seit der Jahrtausendwende standen deutsche Vereine achtmal in einem Europacupfinale. Spanien (22) und England (14) sind in dieser Statistik enteilt. Bei den Titelgewinnen sieht es ähnlich krass aus. Den beiden Triumphen des FC Bayern 2001 und 2013 in der Königsklasse stehen 16 spanische Erfolge gegenüber. Englische Clubs holten sechs Pokale. Gerade in der Europa League, dem einstigen UEFA-Cup, ist Deutschland seit 2001 (2x Finale/0 Titel) gerade noch auf dem Niveau der Mannschaften aus Russland (2/1), Schottland (2/0) und der Ukraine (2/1).

Aus der Liga werden nach den Wahnsinnstransfers des Sommers um 222-Millionen-Mann Neymar Forderungen einer Neuregulierung des Transfermarktes oder einer Gehaltsobergrenze laut. Ohne eine Begrenzung von Ablösesummen oder Gehältern würden es die deutschen Vereine in Zukunft im internationalen Vergleich immer schwerer haben, merkte Sportvorstand Rouven Schröder von Mainz 05 im «Kicker» an. «Die ganz großen Stars, die Topkategorie, werden wir in Deutschland nicht bekommen – auch wenn es die Bayern gegebenenfalls könnten.»

Nach den sechs Niederlagen der vergangenen Woche äußerten Gladbachs Sportdirektor Max Eberl und Eintracht Frankfurts Coach Niko Kovac den Verdacht, dass die deutschen Europa-League-Clubs aus Sorge vor einem Absturz in der sehr ausgeglichenen Bundesliga nicht alle Energie in den internationalen Wettbewerb steckten. «Mannschaften wie Köln oder Hertha haben deshalb vielleicht die Priorität, erst einmal die nötigen Punkte in der Bundesliga zu holen. Es geht jedes Mal ums Überleben. Mannschaften wie Roter Stern Belgrad oder Rasgrad wollen sich dagegen international unbedingt beweisen», sagte Kovac.


(dpa)

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