Watzke: «Das vergangene Halbjahr hat allen sehr zugesetzt»

Bad Ragaz – Hans-Joachim Watzke gilt als einer der Wortführer im deutschen Fußball. Doch zuletzt mied der Geschäftsführer von Borussia Dortmund die Öffentlichkeit.

Nun spricht er in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur über den alten und neuen BVB-Trainer, die jüngste Aufregung um Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang und die Genesung von Weltmeister Mario Götze.

Sie haben sich in den vergangenen Wochen in der Öffentlichkeit rar gemacht. Täuscht dieser Eindruck oder gab es dafür besondere Gründe?

Hans-Joachim Watzke: In der Endphase der vergangenen Saison hat sich in der Trainerwechsel-Causa sehr viel auf meine Person konzentriert, obwohl alle Verantwortlichen und alle Gremien innerhalb des BVB immer die gleiche Meinung vertreten haben. In dieser Zeit habe ich keine Interviews gegeben und mich bewusst zurückgezogen. Das stimmt.

Es war zu lesen, Sie hätten die Trennung von Trainer Thomas Tuchel im Alleingang entschieden. Hat Sie das getroffen?

Watzke: Das konnte ich gut aushalten, es entsprach einfach nicht den Tatsachen. Ich mache keine Alleingänge. Ich arbeite schon sehr lange mit starken Persönlichkeiten wie Michael Zorc und Reinhard Rauball zusammen. Wir vertrauen uns blind, suchen immer den Konsens. Und ich denke, das haben wir auch etliche Jahre unter Beweis gestellt.

In der Erklärung, die der BVB nach der Trennung von Tuchel veröffentlichte, hieß es, Sie und Michael Zorc hätte sich «in der Zusammenarbeit mit dem Trainerteam aufgerieben» …

Watzke: Ich denke, insbesondere das vergangene Halbjahr hat wirklich allen Beteiligten sehr zugesetzt. Dass Dinge im Fußball sich verändern, ist normal. Das Unnormale war, dass in unserem Fall vor einer Veränderung ein Titelgewinn stand. Wissen Sie, die bequemste Entscheidung wäre doch gewesen, wenn wir uns nach dem Pokalsieg vier Wochen lang für alles hätten feiern lassen. Aber dann startest du in die Vorbereitung und stellst fest, die Probleme sind alle noch da. Wenn man von etwas wirklich überzeugt ist, dann muss man es auch tun! Wir hatten zwei sportlich erfolgreiche Jahre, haben einen Titel geholt, für unseren Trainer war es der erste Titel seiner Laufbahn als Coach. Und das kann uns allen doch niemand mehr nehmen.

Nicht nur wegen der Causa Tuchel liegt eine ereignisreiche Saison hinter dem BVB. Die Stoffwechsel-Erkrankung von Mario Götze, die Fan-Ausschreitungen gegen Leipzig mit anschließender Sperrung der Südtribüne und das Bombenattentat auf den Teambus. War es eine der unruhigsten Spielzeiten für Sie?

Watzke: Absolut. Die Zeit zu Beginn meiner Tätigkeit beim BVB war anstrengender, weil ich damals aufgrund der Finanzsituation ab und an das Gefühl hatte, morgen wäre der letzte Tag des Clubs. Aber wenn wir die vergangenen acht bis zehn Jahre betrachten, war es definitiv das anstrengendste Jahr für uns alle.

Vor der vergangenen Spielzeit hatten Sie aufgrund der umfangreichen personellen Fluktuation vom «größten Umbruch seit zehn Jahren» gesprochen. Welche Überschrift würden Sie der neuen Saison geben? Immerhin gibt es mit Peter Bosz einen neuen Trainer.

Watzke: Der Trainer ist zwar neu, aber der Kader ist überwiegend zusammengeblieben. Diesmal sind die Herausforderungen andere. Wir haben sehr ernstzunehmende Konkurrenten, die zuletzt gemessen am eigenen Anspruch teilweise eine unbefriedigende Saison gespielt haben. Leverkusen, Mönchengladbach, Schalke – sie können sich nun komplett auf die Bundesliga konzentrieren, werden dadurch deutlich stärker und versuchen, uns den Rang abzulaufen. Die Bayern und Leipziger sind ohnehin stark. Bei den Hoffenheimern muss sich zeigen, wie sie mit der Doppelbelastung klarkommen. Das Rennen um die ersten Plätze wird enger, davon bin ich überzeugt. Zumal wir mit Verletzungen zu kämpfen haben. Leistungsträger wie Marco Reus, Raphael Guerreiro und Julian Weigl können wir nicht einfach so ersetzen.

Welchen Eindruck haben Sie bisher vom neuen Trainer Peter Bosz?

Watzke: Er ist sehr ruhig, sehr bestimmt. Er hat sehr klare Vorstellungen von der Art, wie er mit dieser Mannschaft spielen will. Er ist im persönlichen Umgang sehr verbindlich, aber hart in der Sache. Man muss ihm Zeit geben, um seine Vorstellungen umzusetzen.

Die Schatten seiner Vorgänger sind lang. Jürgen Klopp und Thomas Tuchel haben den BVB im europäischen Ranking auf Platz 7 geführt. Kann man diese beachtliche Stellung bei den Summen, die mittlerweile auf dem internationalen Transfermarkt bezahlt werden, noch behaupten?

Watzke: Das ist sicher die größte Herausforderung – und eine immens schwierige. Im internationalen Fußball explodieren auf Top-Niveau die finanziellen Aufwendungen. Clubs wie Manchester United, Manchester City oder der FC Liverpool pumpen immense Summen in ihre Kader. Die kommen alle mit 280 Stundenkilometern auf der linken Spur mit Lichthupe angerauscht und wollen uns verdrängen.

Auch die Stellung im nationalen Fußball als Nummer 2 hinter den Bayern scheint in Gefahr? Immerhin rangierte Leipzig in der Tabelle zuletzt vor dem BVB.

Watzke: Wir haben uns in Deutschland eine Position erarbeitet, die es anderen Clubs von der wirtschaftliche Seite und der Strahlkraft zumindest sehr schwer macht, uns ohne Geldflüsse von außen nachhaltig zu attackieren. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren zwei Meisterschaften geholt, haben das Double gewonnen, standen im Champions-League-Finale, waren als erster Club überhaupt vier Mal in Serie im Pokalfinale und haben den Pott im Mai wieder nach Dortmund geholt. Ich glaube, wir dürfen uns bei aller Bescheidenheit schon mit Recht die Nummer 2 im deutschen Fußball nennen.

Mit der Verpflichtung von James Rodriguez von Real Madrid ist der FC Bayern noch einmal in neue Dimensionen vorgestoßen. Müssen sich die Fußball-Fans wieder auf einen langweiligen Titelkampf mit einem Alleingang der Münchner einstellen?

Watzke: Solange keiner diese große ökonomische Lücke zu den Bayern schließt, wird es immer eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit geben, dass sie Meister werden. Jedenfalls dann, wenn sie – wie in den vergangenen Jahren – alles richtig machen. Aber irgendwann wird es auch mal wieder eine Phase geben, in der das nicht mehr so ist. Da muss man schauen, dass man dann wieder zur Stelle ist.

Nicht nur der FC Bayern, sondern auch der BVB hat mit dem genesenen Mario Götze quasi einen namhaften Neuzugang. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?

Watzke: Es macht sehr viel Freude, ihn wieder auf dem Platz zu sehen. Bei Mario spürst du, dass er befreit ist, weil es ihm deutlich besser geht. Dadurch ist er wieder in der Lage, andere Leistungen abzurufen. Du hast aber auch das Gefühl, dass er in den Planungen des Trainers eine wichtige Rolle spielt. Das tut Mario sehr gut. Er macht auf mich einen sehr gelösten, aber auch sehr fokussierten Eindruck.

Wochenlang gab es Schlagzeilen über Aubameyang. Zunächst hieß es, er wechselt in diesem Sommer nach China. Zuletzt wurde über einen Transfer im kommenden Winter berichtet. Können Sie garantieren, dass er die ganze Saison bleibt?

Watzke: Das wäre ja Scharlatanerie. Definitiv kannst du heute im Fußball gar nichts mehr garantieren. Aber wir gehen fest davon aus, dass er diese Saison für Borussia Dortmund spielt. Ein Szenario, unter dem das nicht so sein sollte, ist aktuell nur ganz schwer vorstellbar. Was da in den vergangenen Wochen an Transfergerüchten in einigen Medien konstruiert wurde, war teilweise kompletter Wahnsinn. Selbst mit knallharten Dementis kommst du heutzutage einfach nicht mehr dagegen an. Deshalb muss man viele mediale Themen in der Transferperiode einfach gelassen sehen und wohl über sich ergehen lassen. Es gibt ja keine Alternative dazu.

Bereits an diesem Samstag steht mit dem Supercup das erste Pflichtspiel an. Welchen Stellenwert hat diese Partie für Sie?

Watzke: Wenn Borussia Dortmund gegen Bayern München spielt, ist das ein wichtiges Spiel. Da schaut die Fußball-Welt hin. Vor wenigen Tagen hat Real Madrid gegen den FC Barcelona vor 70 000 Zuschauern in Miami gespielt. Der Kartenpreis lag zwischen 500 und 1000 Dollar. Daran erkennt man, was solche Spiele wie Real gegen Barcelona oder Dortmund gegen München bedeuten. Zwischen Rivalen gibt es keine Freundschaftsspiele. Deshalb nehmen beide Teams diesen Vergleich inmitten der Vorbereitung sehr ernst. Und das ist auch genau die richtige Herangehenweise.

ZUR PERSON: Hans-Joachim Watzke ist seit 2005 BVB-Geschäftsführer. Zu Beginn seiner Amtszeit bewahrte der 58 Jahre alte Diplom-Kaufmann den Fußball-Bundesligisten vor der drohenden Insolvenz. In seiner Amtszeit gewann der BVB je zweimal die Meisterschaft (2011/2012) und den DFB-Pokal (2012/2017).


(dpa)

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