St. Petersburg – An dem großen, ovalen Marmortisch sind die Rollen klar verteilt. Auf der einen Seite Wladimir Putin. Russlands Präsident, selbstsicher. Klar in der Wortwahl und mit einem herausfordernden Blick.
Auf der anderen Seite Gianni Infantino. Der Präsident der FIFA. Die Hände suchen immer wieder Halt an einem vor ihm liegenden Stift. Die Augen huschen hin und her, der Blick weicht aus zur neben ihm sitzenden Dolmetscherin. Seine ersten Worte wirken zwischen den Lippen herausgepresst: «Wir fühlen uns in Russland zuhause.»
Gut ein Jahr ist das Präsidenten-Treffen her, Infantino war erst wenige Monate im Amt als Chef des skandalumtosten Weltverbandes. Und doch hat die Szene Symbolkraft bis heute. Kurz vor dem Anpfiff zum Confederations Cup am Samstag, bei dem Russland der Fußball-Welt beweisen will, dass es ein guter Gastgeber ist, auch für die WM im kommenden Sommer, ist die FIFA gegenüber dem international weiter umstrittenen Ausrichter in einer merkwürdigen Defensivhaltung – Infantino inklusive.
Auch bei einem weiteren PR-Termin in Krasnodar im Mai mit Putin brachte der sonst so eloquente FIFA-Boss überwiegend Phrasen heraus, lobte den Zustand der Trainingsanlage als «State of the Art». «Es war eine großartige Gelegenheit, Präsident Putin zu treffen und den Stand der Vorbereitungen für die kommenden Events in Russland zu diskutieren», sagte Infantino.
Kritische Töne gegenüber Russland gab es von dem Schweizer in seiner Amtszeit bislang praktisch keine. Anlässe dazu sehr wohl. Bis heute ist nicht klar, ob die Russen bei der Vergabe nicht mehr mauschelten als andere Bewerber. Russlands Fußball hat ein gravierendes Rassismus-Problem. Und die marodierenden Gewalttäter bei der EM 2016 in Frankreich wurden beim Weltverband auch lieber nicht zu sehr thematisiert.
Die Existenz offenbar ausgebeuteter nordkoreanischer Arbeiter auf der Stadion-Baustelle in St. Petersburg wurde bestätigt, das Thema aber als erledigt deklariert. Konsequenzen? Keine. Die aktuelle Kritik von Humans Rights Watch zu Zuständen auf russischen WM-Baustellen wird freundlich, aber bestimmt, zurückgewiesen.
Mahnende Worte sind durchaus möglich. DFB-Chef Reinhard Grindel äußerte sich zuletzt mehrfach entsprechend. «Wir werden mit Richtung Confed Cup, aber natürlich in Richtung WM in Russland überlegen, wie wir einen zivilgesellschaftlichen Dialog führen können, auch mit Oppositionellen», sagte Grindel beim WM-Qualifikationsspiel im März in Aserbaidschan.
Vergangene Woche formulierte er durchaus mahnend. «Ich hoffe, dass Russland eine einladende und offene Atmosphäre schafft, so dass sich jeder Fan, gleichgültig welcher Hautfarbe oder auch welcher sexuellen Identität, dort wohlfühlen kann. Ein WM-Gastgeber weiß, dass der Lichtkegel der Welt auf ihn gerichtet ist.»
Südafrika und Brasilien mussten sich als WM-Gastgeber 2010 und 2014 einem regelrechten FIFA-Diktat unterwerfen. Immer wieder kokettierte der damalige FIFA-Boss Joseph Blatter mit einem Plan B – sprich dem WM-Entzug, wenn irgendwas nicht rund lief. Russland musste diesen nie fürchten. Weil sich die so sehr unter der Skandalzeit leidende FIFA dies auch gar nicht leisten könnte. Neue Turbulenzen könnten gravierende Folgen haben, auch finanziell.
Im April präsentierte man die Bilanz. Trotz der tiefroten Zahlen mit einem Defizit von 369 Millionen Dollar im Jahr 2016 rechnet der Weltverband aber mit einem Anstieg der Reserven im WM-Jahr 2018 auf ein Allzeithoch von 1,655 Milliarden Dollar. Allerdings: Die Rechnung geht nur auf, wenn noch TV- und Sponsorendeals abgeschlossen werden. Aktuell sanken die verfügbaren Finanzmittel auf 1,048 Milliarden Dollar. In der Ära Infantino konnten große Verträge nur mit Unternehmen aus China und Katar abgeschlossen werden. Firmen aus demokratischen Ländern trauen dem neuen Geist offenbar noch nicht.
«Wenn man sich ihre Finanzen anschaut, sieht man, dass es nach den Skandalen Probleme gibt», sagte WM-Cheforganisator Witali Mutko aus Ärger über hohe FIFA-Forderungen für die TV-Rechte. Multifunktionär Mutko wurde im Zuge strengerer Regularien wegen seiner politischen Ämter die erneute Kandidatur für das FIFA-Council verwehrt. Das konnte Infantino nicht verhindern. Als Nachfolgekandidat gilt nun sein erster Zuarbeiter im WM-OK, Alexej Sorokin.
Infantino gibt sich als Präsident des Wandels. Zielstrebig führt der Schweizer den Weltverband nach seinen Vorstellungen. Dabei machte er sich auch angreifbar, ließ sich ausgerechnet von einem russischem Oligarchen einen Privatflug bezahlen. Dabei hatte er seine erste Auslandsreise noch medienwirksam im Billig-Linienflieger angetreten. Die FIFA-Ethikhüter prüften intensiv, ob alles rechtens ablief. Ein Jahr später sind die im Umfeld Infantinos als unliebsame Schnüffler charakterisierten Kontrolleure Cornel Borbely und Hans-Joachim Eckert nicht mehr im Amt. Sie wurden von Infantinos Council-Kollegen nicht mehr für eine neue Amtszeit vorgeschlagen.
(dpa)