Lettin Ostapenko erobert Paris: «süchtig nach Risiko»

Paris – Das Finale der French Open war bereits weit über eine Stunde vorbei, doch Jelena Ostapenko machte einfach weiter. Mit einer irren Geschwindigkeit fand sie auf alles, was ihr entgegenflog, eine passende Antwort.

Bähm, bähm, bähm, so ging das fast eine weitere halbe Stunde – im Presseraum des Court Philippe Chatrier. Denn die Sensationssiegerin von Paris redet so, wie sie spielt. Unbekümmert, rasend schnell und ohne Scheu. «Das hat mir niemand beigebracht. So spiele ich einfach und mein Charakter ist genauso», sagte die 20 Jahre alte Lettin, jüngste Paris-Gewinnerin seit Iva Majoli 1997.

Mit ihrem Überraschungs-Triumph im Stade Roland Garros hat sie das sich derzeit ohnehin im Umbruch befindende Damen-Tennis weiter durcheinander gewirbelt. Die übermächtige Serena Williams pausiert wegen ihrer Schwangerschaft, die Weltranglisten-Erste Angelique Kerber steckt in der Krise – so war die Chance für eine neue Grand-Slam-Siegerin da. Und Ostapenko ergriff sie mit Vollgas-Tennis, das am Samstag auch das eher distanzierte Pariser Publikum beim 4:6, 6:4, 6:3 gegen die Rumänin Simona Halep von den Sitzen riss.

«Heute wurde ein neuer Star geboren», sagte die siebenmalige French-Open-Siegerin Chris Evert. «Und ich muss sagen: Es ist so großartig für das Damen-Tennis. Wir brauchen frisches, junges Blut», sagte die Amerikanerin. «Die Götter wollten, dass Ostapenko gewinnt», fügte Boris Becker hinzu.

In ihrer lettischen Heimat wurde der überraschende Erfolg überschwänglich bejubelt. «Ostapenko erschüttert die Tennis-Welt», schrieb die Tageszeitung «Diena» auf ihrer Webseite. Einige tausend Fans hatten sich rund um das Freiheitsdenkmal in der Hauptstadt Riga versammelt, um das Finale zu verfolgen.

«Harte Arbeit, Charakter und Kampfgeist. Das ist unsere Jelena Ostapenko! Ich bin stolz!», schrieb Staatspräsident Raimonds Vejonis bei Twitter. Auch Regierungschef Maris Kucinskis gratulierte zum «fantastischen Sieg» in Paris. «Lettland kann jetzt auch als Tennisgroßmacht bezeichnet werden», schrieb er ebenfalls bei Twitter.

«Das ist unglaublich und auch für Lettland etwas ganz Besonderes», sagte Ostapenko, die als erste ungesetzte Spielerin seit der Einführung des Profi-Tennis in der französischen Hauptstadt den Titel holte. Zuvor hatte sie noch gar kein Turnier gewonnen. Der letzte Tennisprofi, der seinen ersten Titel bei den French Open feierte, war der Brasilianer Gustavo Kuerten am 8. Juni 1997 – dem Tag, an dem Ostapenko geboren wurde.

Im Alter von zwölf Jahren war die Lettin mit ihrer Mutter erstmals nach Paris gekommen. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt, Museen und auch ein Besuch als Zuschauerin bei den French Open standen auf dem Programm. «Dass ich eines Tages hier gewinnen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Es ist wie ein Traum», sagte Ostapenko, die sich in der Weltrangliste um 35 Positionen auf Platz zwölf verbessern wird.

Gegen Halep spielte sie im Finale so, wie sie es immer tut: einfach volle Pulle. «Süchtig nach Risiko», beschrieb die «New York Times» ihre Spielweise. 54 Winnern standen am Ende 54 vermeidbare Fehler gegenüber. Eine irre Statistik für einen Grand-Slam-Champion. Doch mit ihrem dauerhaften Hopp-oder-Top-Tennis zermürbte sie am Ende die taktisch und spielerisch reifere Halep. «Bei einigen Punkten habe ich mich wie ein Zuschauer auf dem Platz gefühlt», sagte die enttäuschte Halep.

Für sie war es nach 2014 bereits das zweite verlorene Finale in Paris. Zudem verpasste sie es, Kerber von Platz eins zu verdrängen. «Die Enttäuschung ist riesig, ich werde eine ganze Weile brauchen, um das zu verdauen», gestand die 25-Jährige, die Ostapenko einen guten Rat mit auf den Weg gab. «Genieße es, sei glücklich und mach weiter so, weil du wie ein Kind bist.» Ostapenko nahm sich das gleich in der Siegerpressekonferenz zu Herzen. «Natürlich will ich nach Möglichkeit alle Grand-Slam-Turniere gewinnen», sagte die Lettin. Bähm, das saß.


(dpa)

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