München – Richtiges Zeichen gegen den Terrorismus oder unmenschliche Last für die geschockten BVB-Profis? Dass die Spieler von Borussia Dortmund keine 24 Stunden nach dem Sprengstoffanschlag auf ihren Teambus schon wieder auf dem Platz standen, spaltet die Fußballwelt.
Viele Offizielle heben organisatorische Zwänge sowie eine notwendige Unbeugsamkeit gegenüber den Tätern hervor – von anderen Profis und Trainern erhalten Thomas Tuchel & Co. Zuspruch für ihre Kritik an der Neuansetzung.
«Ich bin mir ziemlich sicher, wenn einer der Leute, die das entschieden haben, im Bus gesessen hätte, hätten sie die Partie nicht gespielt», sagte der frühere BVB-Coach Jürgen Klopp.
«Dass die Spieler dann heute direkt auflaufen müssen, ist nicht ideal», betonte Toni Kroos. Der Weltmeister trat zwei Stunden nach dem Dortmunder Champions-League-Spiel gegen AS Monaco mit Real Madrid beim FC Bayern an. Er könne sich vorstellen, dass es «ein bisschen länger als einen Tag braucht», das Erlebte zu verarbeiten.
Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann bewertete die kurze Zeit nach dem Anschlag bis zur Neuterminierung als «mehr als unglücklich». Auch Eintracht Frankfurts Coach Niko Kovac solidarisierte sich mit dem BVB-Aktiven – und kritisierte die Atemlosigkeit des Geschäfts. «Es ist schon paradox, wenn man als Fußballer keine Zeit mehr hat, um solche Dinge als Mensch zu verarbeiten. Es geht immer weiter und immer höher und immer schneller.»
Der enge Spielkalender sieht keine außerplanmäßigen Pausen vor. Frankfurt, Monaco, Mönchengladbach, Bayern, Köln – heißt das Programm für den BVB allein bis Ende April. Die Monegassen treten bereits am Samstag in der heimischen Liga wieder gegen Dijon an.
Es sei «organisatorisch gar nicht anders möglich» gewesen, betonte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge deshalb auch bei Sky. Und: «Es kann nicht sein, dass man sich einer Gewalt beugt.» Die Botschaft des Nicht-Einknickens hatten auch die Club-Verantwortlichen des BVB in ihr Plädoyer für einen Anpfiff am Mittwoch gestellt.
Aus diesem Grund sah auch Freiburgs Christian Streich für Dortmund womöglich «eine größere Mission» als das Halbfinale. «Der sportliche Erfolg kann zweitrangig sein, wenn es um eine Botschaft geht, die man an diejenigen schickt, die die Menschen in die Luft sprengen wollen», sagte der gesellschaftlich stets sehr reflektierte SC-Trainer.
Ähnlich argumentiert auch der künftige Sicherheitschef des Weltverbands FIFA. «Wenn wir einknicken, machen wir genau das, was diese Kriminellen wollen», sagte Helmut Spahn der «FAZ» und formulierte ein Kriterium für eine Absage. «Wenn es Tote gegeben hätte, hätte natürlich kein Spiel stattgefunden.»
Auch diese Rote Linie hat der organisierte Sport durch seine häufig geäußerte, politisch-geprägte «The Games must go on»-Botschaft bereits durchbrochen. Mit diesem Satz ließ der damalige IOC-Präsident Avery Brundage die Olympischen Spiele 1972 in München fortsetzen, nachdem ein palästinensisches Terrorkommando das israelische Team überfiel. Elf Israelis und ein deutscher Polizist starben, fünf Terroristen kamen ums Leben.
Trotz der Terroranschläge in den USA wenige Stunden zuvor ordnete die Europäische Fußball-Union am 11. September 2001 einen Champions-League-Spieltag an – und erhielt dafür heftige Kritik der Vereine. Die Europapokal-Partien der nächsten beiden Tage wurden danach abgesagt.
(dpa)