Dortmund – Ein Tschö mit Knalleffekt! Bei seinem emotionalen Abschied aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft ließ sich Lukas Podolski minutenlang mit der Kölner Stadtfahne in der Hand feiern und wurde von seinen Teamkollegen in die Luft geworfen.
Der Matchwinner krönte die Party mit einem Traumtor und schoss das Team von Bundestrainer Joachim Löw in seinem 130. Länderspiel zum 1:0 (0:0) gegen England. «Dass es am Ende so läuft, ist wie im Film», schwärmte Podolski in der ARD. «Wir gewinnen 1:0 und ich mache das Ding.»
Der Fernschuss-Kracher in der 69. Minute war das 49. Tor und der perfekte Schlusspunkt in der einzigartigen DFB-Karriere des Weltmeisters. «Es ist ein Drehbuch, das ich nicht besser hätte schreiben können», sagte Thomas Müller. «Mir als Regisseur wäre das nur zu kitschig, das glaubt dir ja keiner.»
Unter tosendem Applaus der 60 901 Zuschauer in Dortmund beendete die Kölner Frohnatur 15 Minuten später seine Länderspiellaufbahn mit der schwarz-rot-goldenen Kapitänsbinde am Arm, ging grinsend vom Feld und herzte nach seiner Auswechslung Joachim Löw. «Besondere Spieler verdienen einen besonderen Abschied, das ist toll für ihn», sagte der Bundestrainer.
Dieser Abschluss für den Lieblingsschüler von Löw war lange in Gefahr. England war gegen die ohne mehrere Stammkräfte angetretene DFB-Elf das klar besser Team mit den deutlich besseren Chancen. Mehrfach musst Marc-André ter Stegen in höchster Not retten. Am Ende stand aber nicht nur der erste Heimsieg gegen die Three Lions seit 30 Jahren, sondern auch ein Rekord in der Länderspielgeschichte. Seit 648 Minuten ist Deutschland nun ohne Gegentor. Ohne Podolski reist die DFB-Auswahl am Freitag nach Aserbaidschan, wo am Sonntag die Qualifikation für die WM 2018 fortgesetzt wird.
Erstmals in seiner Karriere führte Podolski das Nationalteam als Kapitän aufs Spielfeld, winkte mit dem DFB-Wimpel ins Publikum und bedankte sich über das Stadionmikro für «13 geile Jahre mit dem Adler auf der Brust»: «Danke Dortmund, danke Köln und danke Deutschland!»
Immer wieder feierten die Fans, darunter viele aus Köln, ihren Liebling mit Sprechchören. «Da kriegt man Gänsehaut, da weiß man, die Heimat ist da und dass man vieles richtig gemacht hat auch außerhalb des Platzes. Das zählt für mich viel mehr als die 90 Minuten auf dem Platz», sagte Podolski.
Das große Banner unter der schwarz-rot-goldenen Narrenkappe auf der Südkurve blieb jedoch nicht bis zum Schlusspfiff aktuell: «130 SPIELE, 48 TORE, EINE LEGENDE, DANKE LUKAS». Mit Treffer 49 sorgte der viertbeste Torschütze der deutschen Länderspiel-Geschichte noch einmal für ein ganz besonderes Highlight.
Zunächst blieb Podolski aber glücklos. Bei seiner ersten Chance nach Ballgewinn von Leipzigs Neuling Timo Werner zog der 31-Jährige nach 16 Minuten ab – wurde aber von Michael Keane geblockt. Gut 20 Minuten später strich sein Schuss deutlich über die Latte. Auch in Halbzeit zwei blieb Podolski aktiv, feuerte das Publikum immer wieder an.
Anders als beim tränenreichen Abschied von Kumpel Bastian Schweinsteiger Ende August gegen Finnland (2:0) war ihm jedoch kein Schaulaufen vergönnt. Die Engländer wollten auch ohne Wayne Rooney, den Coach Gareth Southgate nicht in den Kader berufen hatte, beweisen, dass sie etwas aus der peinlichen EM-Achtelfinalpleite gegen Island gelernt hatten.
Gegen das ungewohnte 5-2-2-1-System der disziplinierten Three Lions tat sich die deutsche Vierer-Offensive lange schwer. Bei nur einer Trainingseinheit fehlte die Abstimmung, im Mittelfeld machte sich das verletzungsbedingte Fehlen mehrerer Stammkräfte wie Mesut Özil, Julian Draxler und Sami Khedira bemerkbar.
Beim Blick zu seinen Nebenleuten Leroy Sané (21), Julian Brandt (20) und Werner (21) erkannte auch Podolski, dass der Umbruch im Team des Weltmeisters weit fortgeschritten ist. Neben dem Ur-Kölner, der im Sommer von Galatasaray Istanbul nach Japan zu Vissel Kobe wechselt, standen in Mats Hummels und Kroos nur zwei Titelhelden von Rio in der Anfangsformation.
Als Abwehrchef agierte der Römer Antonio Rüdiger bei seinem ersten DFB-Auftritt seit einem Kreuzbandriss zwar umsichtig – mehrfach stimmten jedoch Abstand und Abstimmung in der deutschen Defensive nicht. Zunächst hatte Manuel Neuers Vertreter Marc-André ter Stegen bei seinem Einsatz gegen Jamie Vardy Glück, keinen Elfmeterpfiff zu hören (6.) Nach einem Fehler von Bayerns Joshua Kimmich und eigenem Solo traf Adam Lallana nur den Pfosten (31.).
Kurz nach der Pause kam der Weltmeister besser ins Spiel. Der eifrige Brandt vergab die bis dahin beste Gelegenheit für das Heimteam, nach einer abgewehrten Ecke verzog der Leverkusener nur knapp. Doch auch wenn die deutsche Mannschaft den Rekord aus dem Jahr 1966 von 604 Minuten in Serie ohne Länderspiel-Gegentor überbot, blieb der Strafraum von ter Stegen Gefahrenzone. Der Barça-Schlussmann präsentierte sich aber umsichtig.
Dank des Treffers von Podolski gelang doch noch der erste Heimsieg über England seit dem 3:1 in Düsseldorf 1987. Für die Engländer war das Sportliche aber schon vor dem Anpfiff in den Hintergrund gerückt. Es sei «relativ schnell» klar gewesen, dass bei dem Doppelanschlag von London keine Angehörigen betroffen gewesen seien, berichtete Southgate. «Wir sind in Gedanken bei den Familien, die Angehörige verloren haben. Da wird Fußball natürlich zur Nebensache.»
(dpa)