Melbourne – Nach drei Jahren der Dominanz in der Formel 1 sieht Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff den Neustart mit einer umfassenden Regelreform als «Glücksfall» für sein Team.
«Ob wir wieder erfolgreich sein werden oder Spaß daran haben werden, einen Gegner zu jagen, der einen besseren Job gemacht hat, spielt im Moment keine Rolle. Beide Situationen haben etwas Reizvolles», sagte der Österreicher im Interview der Deutschen Presse-Agentur vor dem Saisonauftakt in Melbourne am Wochenende.
Inwiefern macht Sie Ihr gerade bis 2020 verlängerter Vertrag als Mercedes-Motorsportchef noch mächtiger?
Toto Wolff: Da geht es gar nicht um Macht. Es geht ausschließlich um Leistung, den in mich gesetzten Erwartungen und meinen eigenen Ansprüchen zu entsprechen. So lange ich der Meinung bin, dass ich zum Positiven beitragen kann und es mir Spaß macht, sind das für mich die Hauptfaktoren.
Was bedeutet denn für Sie Macht in Ihrer Position?
Wolff: So etwas wie Macht, das ist für mich nicht greifbar. Einflussnahme im Sinne des Teams, aber auch der Formel 1, ist sinnvoll. Aber das ist eine Gratwanderung, sobald der vermeintliche Einfluss in der Formel 1 auch als solcher wahrgenommen wird, dann richten sich alle Fadenkreuze auf uns. Es ist besser, mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen und zu überlegen, was im Sinn der Sache ist, anstatt abzuheben.
Sie haben bei Vertragsunterschrift vom Spaß an Ihrer Aufgabe gesprochen. Was bedeutet das?
Wolff: Ich möchte zum jetzigen Zeitpunkt in meinem Leben in keiner anderen Rolle sein. Mir macht die Zusammenarbeit mit den Menschen Spaß, mich stellt das zufrieden. Wenn ich nach einem langen Tag, nach einer langen Reise zufrieden bin, mehr kann man von einem Job nicht verlangen.
Wie wirkt sich der Einschnitt für das Team durch den Rücktritt von Nico Rosberg und den Abschied von Technikchef Paddy Lowe aus?
Wolff: Einschnitte sind gut und schlecht. Ein Team muss sich wie jedes Unternehmen weiter entwickeln. Du kannst nicht einen Zustand einfrieren und hoffen, dass alles immer so bleibt. Das ist etwas Dynamisches. Ich sehe natürlich das Risiko dieser Entwicklungen. Einen Fahrer wie Nico zu verlieren, ist ein großer Einschnitt, aber zugleich die Chance, mit einem Fahrer wie Valtteri Bottas wieder an diese Erfolge anzuschließen. Und das mit einem neutralen Verhältnis zu Lewis, was dem Team sicher helfen wird. Insofern habe ich nach der ersten Verwunderung über Nicos Entscheidung gleich an diese Chance gedacht.
Gibt es denn weiter einen offenen Kanal zu Rosberg?
Wolff: Nico liegt mir persönlich am Herzen. Ich bin mit ihm über all die Jahre zusammengewachsen, schätze ihn. Daher ist der Kontakt genauso intensiv wie er war, als er noch als Fahrer bei uns tätig war.
Was werden Sie an Rosberg nicht vermissen?
Wolff: Was ich nicht vermissen werde, ist diese an der Grenze zur Animosität zwischen beiden Fahrern herrschende Kontroverse. Das war zeitweise viel zu managen für uns. Wir haben dafür mehr Zeit aufwenden müssen, als uns lieb gewesen wäre. Aber das ist Leiden auf hohem Niveau. Wir haben ein sehr gutes Auto gehabt, mit dem sie um Rennen und Fahrer-Weltmeisterschaften gekämpft haben. Dann ist nichts anderes zu erwarten, als dass diese Rivalität zeitweise über die Grenzen hinausgeht. Es ist schon okay, aber ich erspare es mir gern in einer neuen Fahrerkombination.
Welche Lehre haben Sie aus dieser Erfahrung gezogen?
Wolff: Wir haben das wilde Pferd so gut wie möglich geritten. Zeitweise hätten wir anders reagieren können, vielleicht auch besonnener. Aber jede Fahrerpaarung wird eine andere Dynamik haben. Das zwischen Valtteri und Lewis ist noch eine wesentlich entspanntere Situation, die natürlich auch ausarten kann, wenn das Racing eng wird.
Coachen Sie Ihre Fahrer künftig noch mehr?
Wolff: Wir hatten eine Lernkurve in den letzten Jahren, wie weit sie überhaupt belehrbar sind, wie weit man Einfluss nehmen kann in die DNA eines Rennfahrers, die prinzipiell so gepolt ist, dass es um ihn geht, um die Fahrer-Weltmeisterschaft. Er sitzt nun mal allein im Auto, ist schon als Sechsjähriger allein in ein Go-Kart gesteckt worden. Und dann verlangst du, dass sie mit 25 plötzlich Teamplayer werden und dem Erfolg alles unterordnen. Das geht nicht. Man muss akzeptieren, dass sie so sind. Wenn diese DNA hochkommt, kannst du wenig dagegen tun. Aber ich glaube, sie wissen schon sehr genau, bis wo sie gehen dürfen.
Wie erleben Sie jetzt Lewis Hamilton, nachdem es im Finale der Vorsaison viel Ärger gab?
Wolff: Nach Abu Dhabi war es sicher eine schwere Zeit für ihn. Wenn einer so aufs Gewinnen gepolt ist, war diese Niederlage schon sehr empfindlich. Jetzt erlebe ich ihn ausgeglichen wie viele Topsportler, die in der Lage sind, Dinge zu verdauen und mit ihnen abzuschließen. Er hat sich gut vorbereitet für die Saison. In der Summe ist unsere Beziehung stärker geworden, auch durch diese Vorfälle. Du lernst dich besser kennen.
Wird das auch unter Druck im neuen Jahr so bleiben?
Wolff: Wenn der Druck wieder kommt, wenn es um Siege geht, ist natürlich die Rivalität unter Teamkollegen hoch. Das müssen wir in Kauf nehmen. Insofern ist die Paarung Bottas/Hamilton gut, weil sie so unterschiedlich sind. Die beiden werden sich weniger aufreiben, als das zwischen Nico und Lewis der Fall war.
Sie haben davon gesprochen, dass die neue Situation in diesem Jahr Kräfte freisetzen würde. Wie geht das?
Wolff: Als Außenseiter ist es leichter, sich Ziele zu setzen und sich zu motivieren, als wenn du für einige Zeit der Gradmesser warst. Wir verbringen sehr viel Zeit damit, Ziele zu definieren, für den einzelnen, das Team und die Marke. Das fällt leichter, wenn es wie in diesem Jahr zu so einer großen Regeländerung kommt. Es gehen nicht nur alle Punkte wieder auf Null, auch das Kräfteverhältnis wird zurückgesetzt. Chancen und Risiken sind für alle gleich. Das ist für uns eigentlich ein Glücksfall. Insofern sieht man jeden in der Firma mit einem Lächeln im Gesicht, nicht aus Hochmut, sondern aus Freude über die Herausforderung.
Bereiten Sie sich auch auf einen Misserfolg vor?
Wolff: Nach drei Jahren mit über 50 Rennsiegen und sechs Meisterschaften kann es schon sein, dass die Erwartungshaltung unrealistisch ist. Da ist es wichtig, sich selbst und sein Umfeld richtig zu kalibrieren. Und das haben wir gemacht, dass wir nicht davon ausgehen können, dass es genauso weitergeht. Dazu kommt, dass dieser Neustart uns Spaß macht. Ob wir wieder erfolgreich sein werden oder Spaß daran haben werden, einen Gegner zu jagen, der einen besseren Job gemacht hat, spielt im Moment keine Rolle. Beide Situationen haben etwas Reizvolles.
ZUR PERSON: Torger Christian «Toto» Wolff ist seit 2013 Chef der Motorsportabteilung von Mercedes-Benz. Er besitzt auch 30 Prozent der Anteile am Formel-1-Team. Der 45 Jahre alte Österreicher war früher selbst Rennfahrer und verdiente viel Geld im Investmentgeschäft.
(dpa)